14/03/2025 0 Kommentare
Predigt zu Psalm 12: Die Macht der Sprache (9.3.2025)
Predigt zu Psalm 12: Die Macht der Sprache (9.3.2025)
# Emmaus: Predigten

Predigt zu Psalm 12: Die Macht der Sprache (9.3.2025)
Liebe Gemeinde,
ich bin wahrscheinlich nicht der Einzige, der die vergangenen Wochen und Monate als verstörend erlebt hat.
Es sind die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen – und: auch die Art und Weise, wie miteinander umgegangen worden ist und wird… auf den verschiedenen politischen Bühnen und innerhalb der Gesellschaft.
Der Ton ist rauer geworden – noch rauer als er eh schon war.
Verstörende Zeiten.
Wie können wir uns da orientieren?
Für mich persönlich geben mir immer wieder die alten Texte der biblischen Schriften die Möglichkeit, meine eigenen Gedanken zu sortieren. Gerade die Psalmen eröffnen mir einen Raum, zur Ruhe zu kommen – und: das, was um mich geschieht, zu betrachten ohne davon aufgesogen zu werden.
Einer der Psalmen der Bibel, der mir in den letzten Wochen sehr nahe gekommen ist und den wir auch zu Beginn dieses Gottesdienstes im Wechsel gesprochen haben, gehört dazu: der 12. Psalm.
Hören wir – noch einmal – auf ihn.
Jetzt in einer anderen Verdeutschung:
2 Befreie Du, denn die Gott lieben, sind am Ende.
Verschwunden sind die Treuen unter den Menschen
3 Wahn reden sie alle, von glatter Lippe, mit gespaltenem Herzen.
4 Die EWIGE möge sie vertilgen, alle glatten Lippen, die großrednerische Zunge
5 sie die sprechen: Unsere Zunge ist unsere Macht! Unsere Lippen sind mit uns! Wer sollte über uns herrschen?
6 „Wegen der Gewalt gegen die Unterdrückten, wegen des Ächzens der Armen jetzt stehe ich auf“, spricht die EWIGE.
„Ich setze in Freiheit, die man indoktriniert.“.
7 Die Worte der EWIGEN sind klare Worte. Silber, in der Werkstatt geschmolzen zur Erde, siebenfach geläutert.
8 Du wirst sie behüten, wirst sie bewahren vor diesem Geschlecht da auf Weltzeit, 9 während ringsum die Frevler sich ergehen solange Gemeinheit obenauf ist unter den Menschen.
Es geht in diesem Psalm um die Sprache… um unser Sprechen.
Wir wissen ja alle:
Unserer Sprache können wir uns nicht entziehen. Sie ist ein Teil von uns. Wir sind unlösbar damit verbunden. Und im Wandel der Sprache übernehmen wir Wörter, Redewendungen, die in unseren Sprachgebrauch hinzugekommen sind.
Das war schon immer so.
Und es ist grundsätzlich etwas Produktives.
Denn Sprache ist ein offener Prozess, weil sich die Welt verändert.
Und weil es ein offener Prozess ist, ist Sprache immer auch verletzlich.
Sprache kann auch instrumentalisiert werden, um Interessen durchzusetzen.
Und dieses Instrumentalisieren geschieht meist langsam…meist ist es uns gar nicht bewusst…oder mit homöopathisch dosierten Tabubrüchen (wie z.B. aktuell bei dem Wort Re-Imigration).
Und ehe wir uns versehen, gewöhnen wir uns an Wörter oder Redewendungen, benutzen sie dann vielleicht auch irgendwann selbst und tradieren Inhalte einfach - unbedacht – weiter... und: verinnerlichen sie.
Und da müssen wir uns nicht vor machen: in der Sprache spiegeln sich immer auch die teils uralte gesellschaftliche Strukturen bis hin zu Herrschaftsstrukturen wider – Strukturen, die uns teils gar nicht bewusst sind, weil wir sie sprachlich quasi schon mit der Muttermilch aufgesogen haben.
Verheddert im Redefluss der eigenen Zeit - das meint der Psalm wenn es heißt:
Wahn reden sie alle, von glatter Lippe, mit gespaltenem Herzen.
Doch für den Psalm sind nicht alle Katzen in der Nacht grau.
Er hält zugleich fest, dass es schon immer Menschen gegeben hat, die Sprache bewusst (um)formen und einsetzen: – um wie es weiter im Psalm heißt: zu indoktrinieren und: um Gewalt auszuüben.
Daher benennt der Psalm die mit der großrednerische(n) Zunge - die sprechen:
Unsere Zunge ist unsere Macht! Unsere Lippen sind mit uns! Wer sollte über uns herrschen?
Ich vermute, dass für die meisten von Euch/von Ihnen, diese Psalmworte sehr aktuelle Bilder auslösen…dass sich Bilder einstellen ... diesseits und jenseits des Atlantiks ...
Sprache ist sensibel…
Sprache ist wie ein Seismograph.
Wie wird Sprache benutzt…verschleiernd oder offen?
Was wird einfach umgedeutet?
Was wird transportiert?
Und bei der Förderung wie auch bei der Zerstörung von Humanität spielt Sprache immer auch eine Rolle.
Denn Sprache schafft Wirklichkeit oder unterdrückt sie.
Und heute – nicht nur angesichts des Weltfrauentages gestern – möchte ich auf eines eingehen, was mich schon seit längeren im Blick auf das Sprechen/die Sprache umtreibt.
Denn es hat sich so etwas wie ein unerbittlicher Kampf um die Sprache entwickelt, der sich vor allem daran festmacht, die Legitimität, die vorhandene Geschlechterverschiedenheit auch sprachlich deutlich zu machen – in Form einer „inklusiver Redeweise“ –, zu bestreiten bis hin zu unterbinden.
Vor allem im letzten Jahrhundert gab es – die meisten werden sich daran erinnern – einen emanzipatorischen Aufbruch. Ein langer gesellschaftlicher Prozess, in dem Herrschaftsstrukturen aufgedeckt und benannt wurden und in dem Schritt für Schritt eine Sensibilisierung und auch der Boden für die Bereitschaft zu (mehr) Gleichberechtigung bereitet wurde. Vieles hat sich in längst überfälligen Gesetzen über die Jahrzehnte niedergeschlagen – vieles steht auch noch aus.
Und ein Teilaspekt der Gleichberechtigung ist die mehr als notwendige Forderung, eben auch sprachlich Konsequenzen zu ziehen. Ausdruck dafür ist eben eine Sprache, in der nicht nur die Männer sprachlich vorkommen.
Seit Jahren erleben wir aber ein sog. „Rollback“: d.h. eine Rückentwicklung. Weltweit erleben wir eine Zunahme von Misogynie: Frauenfeindschaft. Je totalitärer und autoritärer Staaten sich entwickeln, geht das immer Hand in Hand mit Frauenfeindschaft.
Und wir erleben auch hier in unserem Lands, dass z.B. das Wort „Gender“ nach und nach zu einem „Un-Wort“ umgewertet worden ist. Das Gender-Sternchen inmitten eines regelrechten Kulturkampfes. Bis dahin, dass z.B. in Bayern gesetzlich erlassen wurde – ich zitiere: „Mehrgeschlechtliche Schreibweisen durch Wortbinnenzeichen wie Genderstern, Doppelpunkt, Gender-Gap oder Mediopunkt sind unzulässig.“. Oder dass die rechtsradikale AfD allein aufgrund ihres reaktionären Frauenbildes der geschlechtergerechten Sprache den Kampf angesagt hat.
In diesem Kulturkampf zeigt sich eine große Frauenfeindlichkeit und Verachtung.
Denn es geht denen, die „Geschlechtergerechtigkeit“ bekämpfen nicht um eine sprachliche Ästhetik – das sind „Nebelkerzen“! Sondern es geht um Wahrung von Herrschaft – in Form einer Durchsetzung eines Rollenbildes, bei dem Frauen sich unterzuordnen haben – unter den Mann. Anders wäre es sowieso nicht zu erklären, warum mit so großer Härte sprachliche Korrekturen so bekämpft werden.
Wahrung von Herrschaft, die immer auch Gewalt impliziert – denn Gewalt ist nicht nur physische Gewalt.
Mag es für den einen oder die andere ein Randthema sein, so ist gerade die Sprache im Blick auf das Miteinander der Geschlechter so etwas wie ein Lackmustest – ein Prüfstein – ob es wirklich ernst gemeint ist mit der Gleichberechtigung oder eben nicht.
Und Gleichberechtigung der Geschlechter ist keine neuzeitliche Erfindung, sondern ist biblisch schlicht und einfach darin verankert, dass Gott jedem Menschenwesen – unabhängig vom jeweiligen Geschlecht – eine unantastbare Würde gegeben hat, die die Herrschaft eines Geschlechtes über das andere ausschließt.
Wird die Geschlechtergerechtigkeit nicht ernstgenommen, ist jedes Reden von Frieden, Gerechtigkeit in der Welt nicht nur unvollständig, sondern hohles Gerede.
Und so ist die Sprache ein Seismograph – auch im Blick, ob wir der von Gott verliehenen Würde Rechnung tragen oder nicht.
Denn Sprache schafft Wirklichkeit oder unterdrückt sie.
Und gerade auch unser kirchliches Reden ist da genauso kritisch zu betrachten. Da müssen wir uns als von Männern durch und durch geprägte Christenheit an die eigene Nase fassen.
Und wir wissen doch zu gut: dass zu allen Zeiten biblische Worte und Texte missbraucht wurden, um eigene Interessen durchzusetzen: auf Kosten anderer und immer auch auf Kosten von Frauen.
Nicht umsonst heißt es im Psalm, dass selbst die klaren Worte Gottes wie Metall in einer Werkstatt gereinigt werden müssen:
Die Worte der EWIGEN sind klare Worte.
Silber, in der Werkstatt geschmolzen zur Erde, siebenfach geläutert.
Ich habe für das gemeinsame Sprechen des 12. Psalms und für die Grundlage dieser Predigt nicht ohne Grund zwei unterschiedliche Übersetzungen gewählt.
Denn allein durch die Übersetzungen der Bibel sind schon menschliche Herrschaftsmuster in die Texte eingetragen worden.
Ich möchte das an der Gottesbezeichnung festmachen:
Allein die für ja fast selbstverständliche Übersetzung des Gottesnamens mit HERR ist und bleibt problematisch, implantiert sie doch das Bild, dass Gott exklusiv männlich sei: Gott also auf das Männliche festgelegt sei.
Natürlich kann genauso wenig auf das Weibliche fixiert werden kann.
Vielmehr sollten wir uns an der vollkommen angemessen jüdischen Tradition orientieren, den Gottesnamen nicht auszusprechen und den Namen mit wechselnden anderen Bezeichnungen auszufüllen.
Alles ist dem Gebot unterzuordnen, sich von Gott kein Bild zu machen.
Und wie in der Übersetzung, die dieser Predigt zugrunde liegt, Gott als „DIE“ Ewige zu nennen, ist sicherlich gewöhnungsbedürftig, aber angemessen. Und zugleich nur dann, wenn ich beim nächsten Mal, von „DEM“ Ewigen sprechen würde. Und genauso angemessen ist es, Gott als Vater zu bezeichnen, wenn wir – und nur dann – Gott bei anderer Gelegenheit auch als Mutter anreden.
Sprache ist ein Seismograph.
Damit macht uns dieser 12. Psalm vertraut, damit wir uns im Sprach- und Stimmengewirr unserer Zeiten orientieren können.
Orientieren dann, wenn wir die Basics der biblischen Botschaft im Auge behalten.
Entsprechend heißt es weiter im Psalm:
Du wirst sie – die Worte Gottes – behüten, wirst sie bewahren vor diesem Geschlecht da auf Weltzeit, während ringsum die Frevler sich ergehen solange Gemeinheit obenauf ist unter den Menschen.
Die Worte Gottes sind Worte der Humanität: in denen es um die Würde eines jeden Menschen geht, die jedem Menschen von Natur aus gegeben ist.
Worte, die von Geschwisterlichkeit reden – von Liebe – von Gerechtigkeit und von Frieden. Wo eben niemand unterdrückt, ausgebeutet wird.
Daran ist alles Reden und auch unsere Sprache zu messen… um all die herumschwirrenden Worte und Sätze zu betrachten… zu bewerten… sie als das aufzudecken, was sie sind: im Positiven wie auch im Negativen.
Bewahren der Worte Gottes – getragen von der Hoffnung, dass Gott befreit!
Denn Gott gibt uns Texte wie diesen Psalm an die Hand, weil er uns nicht uns selbst überlassen will.
So wie alle anderen Worte und Verheißungen.
Gott will uns mithineinnehmen in das Ringen um Humanität.
Und das fängt bei der Sprache an.
Amen.
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