02/07/2024 0 Kommentare
Predigt zum 4. Advent
Predigt zum 4. Advent
# Predigten
Predigt zum 4. Advent
Liebe Leserinnen und Leser!
Ich liebe den Advent, auch und gerade deshalb, weil die Lieder so toll sind.
Mir geht das Herz auf, wenn ich den Morgenstern und mit ihm die Freude herbeisinge. Doch ein Lied überragt sie alle, es ist, mit den Worten Dietrich Bonhoeffers, „das leidenschaftlichste, wildeste, ja man möchte fast sagen revolutionärste Adventslied, das je gesungen wurde“.
Wir selbst haben dieses Lied heute nicht gesungen, aber anstelle des Psalms schon gesprochen: das Magnificat, den Lobgesang der Maria.
Ein tatsächlich wildes, revolutionäres Adventslied. Am vergangenen Dienstag haben sich die Konfirmandinnen und Konfirmanden damit beschäftigt. Ihre Bilder, die rechts an der Wand stehen, verraten etwas von dem Umsturz, der sich im Lobgesang der Marian ankündigt.
Dieser Lobgesang ist eine klare Ansage. Wenn Gott kommt, dann wird die Welt auf den Kopf gestellt: die Überheblichen werden in ihre Schranken gewiesen und die Mächtigen entthront. Die Niedrigen werden erhöht und die Hungrigen gesättigt.
Immer wieder ist dies auch tatsächlich schon geschehen. Seltsamerweise jedoch lässt sich diese Revolution nicht auf Dauer stellen. Die ganz große Wende zu einer endgültig gerechten Welt steht noch aus. Das spüren wir jeden Tag. Es gibt also auch in diesem Advent noch viel zu hoffen.
Doch wie kam es überhaupt dazu, dass eine junge Frau aus Galiläa ein derartiges Lied anstimmen konnte? Machen wir also eine Rückblende und hören die Geschichte der Maria vor ihrem Lobgesang, wie sie Lukas im ersten Kapitel erzählt:
26 Und im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth, 27 zu einer Jungfrau, die vertraut war einem Mann mit Namen Josef vom Hause David; und die Jungfrau hieß Maria. 28 Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir! 29 Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das? 30 Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria! Du hast Gnade bei Gott gefunden. 31 Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben. 32 Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, 33 und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben.
34 Da sprach Maria zu dem Engel: Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Manne weiß? 35 Der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden. 36 Und siehe, Elisabeth, deine Verwandte, ist auch schwanger mit einem Sohn, in ihrem Alter, und ist jetzt im sechsten Monat, sie, von der man sagt, dass sie unfruchtbar sei. 37 Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich. 38 Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast. Und der Engel schied von ihr. (Lutherbibel 2017)
Wen sehen wir in dieser Rückblende? Sehen wir hier schon die junge Frau mit ihrem Revolutionslied? Oder nicht doch eher jene verträumt in die Weite schauende Heilige mit Glorienschein, die mit zaghaft erhobener Hand den Gruß des Engels Gabriel erwidert? So malte sie Leonardo da Vinci in seiner Darstellung der Verkündigungsszene Ende des 15. Jahrhunderts.
Zwei vollkommen verschiedene Marienbilder und damit auch zwei vollkommen verschiedene Frauenbilder.
Maria ist nicht nur eine junge Frau aus Galiläa, sondern im Laufe der Kirchengeschichte darüber hinaus Mutter Gottes, Gottesgebärerin, ewige Jungfrau, in den Himmel aufgefahren, Adressatin so vieler Gebete und Sehnsüchte.
Wen haben wir vor Augen, wenn wir von Maria hören?
Als evangelische Christen nähern wir uns Maria meist nur vorsichtig. Zu fremd sind viele der Darstellungen und religiösen Praktiken im Zusammenhang mit Maria.
Wenn ich Marien-Bilder aus der Kunstgeschichte sehe, dann empfinde ich dabei oft nichts als Fremdheit.
Wer ist also diese Maria, diese so intensiv bedachte und gemalte Frau, die hinter all diesen Bildern und Gedanken förmlich verschwindet?
Angesichts dieser Verlegenheit ist der typisch evangelische Reflex zu sagen:
Maria hat für uns eigentlich keine Bedeutung. Und doch werden wir sie nicht los.
Von ihr wird ja nicht nur in der Bibel erzählt, sondern auch im Glaubenskenntnis spielt sie eine Rolle.
Wir bekennen von Jesus, er sei „geboren von der Jungfrau Maria“.
Nun ist es ja so, dass wir manchen Satz im Glaubensbekenntnis vielleicht ein bisschen leiser sprechen, weil er uns nicht so ganz geheuer ist.
Für viele gehört sicherlich die Jungfrau Maria dazu.
Trotzdem lohnt sich ein zweiter Blick auf die Maria.
Wer ist diese junge Frau, von der die Bibel erzählt?
Maria war eine junge, wahrscheinlich sehr junge Frau, als sie von ihrem Vater dem Josef, einem Bauhandwerker, zur Ehe versprochen wurde. Damit war sie rechtlich unmündig und sollte es als bald verheiratete Frau nach geltendem Recht auch für den Rest ihres Lebens bleiben.
Dass sie in diesem Status Jungfrau war, versteht sich eigentlich von selbst.
Dann tritt der Engel Gabriel auf, er grüßt Maria. Ein erster Bruch mit den moralischen Konventionen der Zeit: Ein Mann grüßte nicht einfach so eine junge Frau.
„Welch ein Gruß ist das?“, dachte Maria und erschrak, wie es sich für eine anständige junge Frau gehörte.
Die Botschaft des Engels wird wenig zu Marias Beruhigung beigetragen haben:
Gott hat bestimmt, dass du schwanger wirst und einen Sohn zur Welt bringst. Dessen Name und Aufgabe steht auch schon fest:
Er soll Jesus heißen und wird König werden.
Doch Maria, nun weit davon entfernt, jenes sanfte, verträumte und entrückte himmlische Wesen der klassischen Malerei zu sein, Maria fing an zu diskutieren. Sie hinterfragte die Botschaft Gabriels und verließ sich dabei, uns heute sehr nah, ganz auf ihren Verstand:
„Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Manne weiß?“
Ohne Sex keine Schwangerschaft, das war auch Maria bekannt und klingt vernünftig.
Die Antwort des Engels Gabriel ist bekannt.
Maria war Jungfrau und sollte trotzdem schwanger werden. So weit so unklar.
Es gibt wohl wenige Passagen der Bibel, die so gründlich missverstanden wurden wie diese und darum viele Menschen daran hindern, den christlichen Glauben ernst zu nehmen.
Um es ganz deutlich zu sagen:
Die Geschichte von der Jungfrauengeburt ist ein Mythos.
Allerdings ein ernstzunehmender Mythos.
Damit meine ich:
Es gab eine Zeit, in der wir in den aufgeklärten Gesellschaften Europas meinten, alle Mythen einfach abschaffen zu können. Die Idee war: Wir Menschen sind vernünftig, wir wissen das auch, und wir brauchen keine Geschichten mehr, die uns etwas erzählen, was jenseits der Grenzen unserer Vernunft liegt.
Diese Überzeugung ist brüchig geworden.
Klimawandel und Kriege, Coronaleugner und Querdenker zeigen vor allem eins: der Menschen ist offensichtlich kein eindeutig vernünftiges Wesen.
Wir verhalten uns nicht nur notorisch unvernünftig, sondern wir brauchen Geschichten, die jenseits unserer Vernunft gründen. Wir brauchen Mythen, die unsere Vernunft in ihren so offensichtlichen Grenzen menschlich machen.
Wir brauchen nicht die Abschaffung des Mythos, sondern die „Arbeit am Mythos“ (Hans Blumenberg). Damit meine ich: Wir müssen verstehen, was die Mythen uns sagen, damit sie uns helfen zu leben.
Was heißt aber jetzt Arbeit am Mythos Jungfrauengeburt?
Für mich heißt das: Ganz genau hinschauen, was eigentlich erzählt wird.
Der Engel sprach zu Maria: „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden.“ (Vers 35)
Die Vorgänge, die zu dieser eigenartigen Schwangerschaft führen, bleiben verschwommen. Ich behaupte: absichtsvoll verschwommen, weil es auf sie gar nicht ankommt. Worauf es aber sehr wohl ankommt, ist dies:
Jesus und Gott sind einander in einzigartiger, in unüberbietbarer Weise nah.
Diese Nähe bestand schon, bevor Jesus auf die Welt kam, sie zeigte sich in seinem Leben und Sterben und sie dauert fort, heute und für immer.
Und noch etwas, worauf es ankommt:
Das Heilige wird geboren!
Mit anderen Worten:
Das Heilige, der ewige Gott, kam zu Maria, kommt zu uns und will sich in uns verkörpern. Gott braucht unseren Körper, unser irdisches Leben, um in seiner Welt anzukommen. Die Art und Weise, wie Gott in dieser Welt da sein will, ansprechbar sein will, ist körperlich. Und darum sind unsere Körper nicht nur der Sitz unseres Verstandes und unserer Seele, sondern auch der Sitz Gottes in der Welt.
Wir haben die Möglichkeit, das Heilige in der Welt zu verkörpern.
Wir haben damit als Menschen eben nicht nur jene andere, abgründige Möglichkeit, das Böse zu verkörpern, sondern eben gerade und vor allem: das Heilige, das Gute und Heilsame füreinander und für die Welt.
Das meint der Mythos Jungfrauengeburt:
Wir können das Heilige verkörpern. Der ewige Gott wird leiblich in und mit uns.
Da liegt natürlich jetzt sofort die Frage sehr nahe, die Paul Gerhardt in seinem Adventschoral bedacht hat: „Wie soll ich dich empfangen?“ (EG 11)
Wie soll das gehen, dass wir das Heilige in der Welt verkörpern?
Sind wir nicht alle miteinander dafür zu schwach, zu müde, zu krank, zu beschäftigt, zu verzweifelt, zu … was auch immer?
Die Antwort Gabriels finde ich ermutigen:
„Bei Gott ist kein Ding unmöglich.“
Und, es kommt nicht auf unsere Leistung an, wohl aber auf unsere Bereitschaft. Darauf, dass wir uns einlassen auf Gottes Kommen zu uns.
Mit den Worten Paul Gerhardts:
Ihr dürft euch nicht bemühen / noch sorgen Tag und Nacht, / wie ihr ihn wollet ziehen mit eures Armes Macht. / Er kommt, er kommt mit Willen, / ist voller Lieb und Lust, all Angst und Not zu stillen, / die ihm an euch bewusst.
Kommentare