Predigt in der Christvesper

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Predigt in der Christvesper

Wir feiern Weihnachten. Die Musik und die Lesung der Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium haben das Fest eröffnet. Mir geht es so, wenn ich den Klang der altvertrauten Worte höre – „Es begab sich aber zu der Zeit“ –, dann öffnet sich in meiner Seele eine Tür für Weihnachten, für Erinnerungen, die ich seit Kindertagen mit dem Fest verbinde, für Bilder von Kerzenschein und Christbaum, für Heiligabende im Kreis der Familie. Mit den Worten „Bethlehem Efrata“ geht es vielen bestimmt genauso.

Sie sind fester Bestandteil von Weihnachten, ja der Weihnachtsgeschichte selbst. In Bethlehem wurde Jesus geboren. Über Bethlehem stand der Stern, der die Weisen aus dem Morgenland führte.

Warum eigentlich Bethlehem?

Eine alte Verheißung aus dem Buch des Propheten Micha rückt den kleinen Ort in der Nähe von Jerusalem ins Zentrum unserer Aufmerksamkeit:

1Du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Tausenden in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist. 2Indes lässt er sie plagen bis auf die Zeit, dass die, welche gebären soll, geboren hat. Da wird dann der Rest seiner Brüder wiederkommen zu den Israeliten. 3Er aber wird auftreten und sie weiden in der Kraft des Herrn und in der Hoheit des Namens des Herrn, seines Gottes. Und sie werden sicher wohnen; denn er wird zur selben Zeit herrlich werden bis an die Enden der Erde. 4Und er wird der Friede sein. (Lutherbibel 2017)

Im achten Jahrhundert vor Christi Geburt wirkte der Prophet Micha in Jerusalem. Das Prophetenbuch mit seinem Namen enthält scharfe Kritik an sozialen Missständen, aber auch die Verheißung zukünftigen Heils. Aus Bethlehem soll der Messias kommen. Ein neuer König, der das Volk Israel in Jerusalem wieder sammelt, der Frieden und Sicherheit wiederherstellt.

Die ersten Christen haben in Jesus diesen Messias erkannt; diesen König, der Frieden bringt.

Die Sehnsucht nach Frieden ist groß. Das ist heute nicht anders als in den Tagen der Geburt Jesu. Der Militäraufmarsch an der ukrainisch-russischen Grenze führt uns vor Augen, wie wenig selbstverständlich Frieden ist. Auch in Europa, in unserer Nachbarschaft ist Frieden nicht selbstverständlich. Es braucht dafür neben den diplomatischen Anstrengungen der Politik eine alltägliche Praxis des Friedens. Und diese Praxis des Friedens, die fängt mit jedem von uns an. Sie fängt damit an, dass wir sagen: Wir lassen uns nicht verfeinden. Wir lassen uns nicht einreden, der andere sei das Problem und müsse am besten beseitigt werden, damit die Welt ein guter Ort wird. Nein, der andere ist ein Kind Gottes wie wir selbst. Für den anderen ist Gott genauso Mensch geworden wie für mich. Wenn wir daran glauben und daran unser Handeln ausrichten, dann arbeiten wir damit für den Frieden. Zunächst im Kleinen, aber das hat dann auch Auswirkungen auf die Gesellschaft als Ganze, auf das Klima, in dem wir einander begegnen.

Das schließt übrigens Klarheit in der Sache nicht aus. Wenn radikale Impfgegner Lügen verbreiten, Politikerinnen bedrohen oder einen Bürgerkrieg herbeiphantasieren, dann müssen wir das nicht im Namen des lieben Friedens toll finden. Frieden braucht Vernunft und Wahrheit. Sie bilden das Fundament einer friedlichen Gesellschaft.

Doch Vernunft und Wahrheit brauchen Nahrung. Ich erlebe es bei mir selbst und bei anderen Menschen so, dass wir uns im Einsatz für den Frieden im Kleinen und im Großen erschöpfen. Für den Frieden arbeiten, nach Wahrheit fragen, das Vernünftige tun, das kostet Kraft und geht nie ohne Widerstände.

Das zeigt sich manchmal schon am Heiligabend selbst, wenn Familien in großer Runde am Tisch sitzen und sich vergewissern, dass alles gut ist. Den Frieden wollen und wahren trotz unterschiedlicher Bedürfnisse und Wünsche, das braucht Kraft. Woher soll die kommen?

„Er wird der Friede sein“, heißt es bei Micha. Die Geburt Jesu vollzieht sich nicht nur im Stall von Bethlehem, sondern auch in unserer Seele. Das Weihnachtsfest mit seinen Ritualen, mit der biblischen Geschichte, mit den Liedern und Gebeten ist eine Gelegenheit, sich dafür zu öffnen, für den Geist Jesu, für den Geist des Friedens. Diese Macht kommt zu uns und überwindet Hass und Feindschaft in uns. Sie macht einen neuen Menschen aus uns, der im Frieden mit Gott lebt und darum auch den Frieden mit den anderen Menschen sucht.

Das Weihnachtsfest ist in wenigen Tagen vorbei. Doch der Geist Jesu kommt auch danach zu uns. Diesen Geist des Friedens zu empfangen, nicht nur an Weihnachten, sondern auch im Alltag des neues Jahres, darum können wir uns bemühen. Für mich ist das der Inbegriff von Spiritualität: die Bemühung um Kontakt mit diesem Geist, im Lesen der Bibel, im Gottesdienst und im Gebet.

Paul Gerhardt dichtete:

Ich sehe dich mit Freuden an / und kann mich nicht satt sehen; / und weil ich nun nichts weiter kann, bleib ich anbetend stehen. / O dass mein Sinn ein Abgrund wär / und meine Seel ein weites Meer dass ich dich möchte fassen. (EG 37,4)

Dass wir das Fassungsvermögen unserer Seele erweitern, unsere Seele weit öffnen, damit Gottes Frieden uns verwandeln kann, das wünsche ich Euch allen und mir selbst in diesem Jahr. Denn wo das geschieht, da bekommen wir auch einen neuen Blick für die Schönheit der Schöpfung.

„Er wird … herrlich werden bis an die Enden der Erde“, heißt es beim Propheten Micha. Die Herrlichkeit Gottes spiegelt sich wider in der Schönheit der Schöpfung. Es ist atemberaubend, in einer klaren Nacht den Blick in den Himmel zu richten und die Sterne zu sehen. Was für ein Wunder, dass es uns gibt! Der Stern von Bethlehem zeigt uns, dass wir geliebt sind, und weist uns den Weg, zu Gott, zu unseren Nächsten und zu einem Leben als Geschöpfe unter Geschöpfen.

Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dass wir dieses Wunder lieben und achten.

Frohe Weihnachten Euch allen!

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