02/07/2024 0 Kommentare
Predigt zum Sonntag Rogate
Predigt zum Sonntag Rogate
# Predigten

Predigt zum Sonntag Rogate
Liebe Leserin, lieber Leser,
hat denn jemand von Ihnen schon einmal für Angela Merkel gebetet? Für unseren Ministerpräsidenten Laschet…oder für unseren Oberbürgermeister?
Und wenn wir im Sinne der globalen Zusammenhänge weiterdenken: für Boris Johnson, Joe Biden, Wladimir Putin oder für irgendeinen anderen Staatschef?
Warum ich das frage?
Weil es der Verfasser des heutigen Predigttextes (1.Timotheus 2,1-6a) u.a. vorgibt.
Da heißt es:
So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit.
Dies ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserm Heiland, welcher will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.
Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung.
…für alle Menschen zu beten, ist nicht ungewöhnlich. Viele Gebete speziell in unseren Gottesdiensten schließen oft die Bitte für diese Welt mit ein.
Aber für die Könige und die Obrigkeit – d.h. also heute für die Regierungen und ganz konkret ihre Vertreter zu beten?
Über Politiker zu reden, über sie schimpfen …der Verdrossenheit über sie zum Ausdruck zu bringen – das gehört zum Tagesgeschäft – gerade in Zeiten von Corona.
Aber sie in der Fürbitte miteinschließen?
Warum war das dem Verfasser des 1.Timotheusbriefes so ein Anliegen?
Vielleicht war das ja nur etwas Wichtiges damals – so dass es uns heute nicht mehr berührt?
Also ein kleiner Rückblick in das erste Jahrhundert unserer Zeitrechnung:
Wo wir uns in Europa als Kinder des christlichen Abendlandes bezeichnen können…schon seit Jahrhunderten die Menschen in einer christlich geprägten Gesellschaft aufgewachsen sind, war das damals anders.
Die Gemeinden waren in einem heidnisch geprägten Umfeld wenn überhaupt geduldet. Ständig standen sie in der Gefahr, Repressalien und Verfolgungen ausgesetzt zu werden. Und diese waren meist „von oben“ – also von der Obrigkeit angeordnet, die die Christen als Fremdkörper und potentielle Störenfriede ansahen.
Da wird gleich deutlich, dass es ein vitales Interesse der Gemeinden war, für diese Obrigkeit zu beten, die faktisch damals die Macht innehatte – Gott zu bitten, Einfluss zu nehmen…doch alles dafür zu tun, dass die Herrscher der damaligen Zeit nicht auf die Idee kamen, gegen sie vorzugehen.
Mehr noch: dass die Herrscher eine – alle betreffende – menschliche Politik betreiben mögen: human – zum Segen aller.
Daher auch der – vielleicht auf den ersten Blick – merkwürdig klingende Wunsch, ein ruhiges und stilles Leben zu führen.
Denn damit ist aber nicht ein selbstbezogenes, beschauliches Leben gemeint.
So nach dem Motto: Hauptsache uns geht es gut…
Ein „Ruhiges und stilles Leben“ ist in den biblischen Schriften vielmehr ein Synonym für Frieden. Und Frieden im Sinne des biblischen Schalom bedeutet: Raum und Luft zum Leben zu haben. Nicht nur friedliche, sondern auch gerechte Verhältnisse vorzufinden. Und das betrifft dann nicht die Situation der Gemeinden, sondern auch die aller Menschen. Schalom – das Recht zu Leben - ist nicht teilbar, sondern gilt allen. Es ist ein systemischer Begriff. Deshalb zielt die Fürbitte nicht nur auf die Herrscher, sondern betrifft letztlich alle Menschen. Sie ist von Natur aus eine solidarische.
Brauchen wir das auch heute noch…das Gebet für die Obrigkeit?
Ja – denn die Lage hat sich eigentlich verschlimmert.
Auch wenn sich für uns hier die Rahmenbedingungen verändert haben.
So sollte unser effektiv ruhiges Christenleben hier in Deutschland uns nicht vorgaukeln, als sei alles in Butter.
Zielt nämlich die Fürbitte für die Obrigkeit in letzter Konsequenz auf einen umfassenden Frieden ab, dann haben wir noch eine Menge zu beten.
Für mich hat das zwei Ebenen.
Einmal: auch wenn es uns hier mit unserer christlichen Existenz gut geht…wir keine Angst haben müssen…unser Staat uns alle Freiheiten zugesteht…speziell auch die der Religionsfreiheit… sieht das an anderen Orten dieser Welt anders aus.
Christen und Christinnen in anderen Teilen der Erde haben es zum Teil sehr schwer. China, Indonesien – um nur zwei Beispiele zu nennen – sind Länder, in denen Christsein gefährlich ist. Das hohe Gut unseres Staates, allen Menschen Religionsfreiheit zu garantieren, wird dort nicht geteilt. Repressalien/Verfolgung gehört da zum Leben dazu.
Aus ökumenischer Solidarität heraus, ist das Anliegen des Predigttextes daher noch höchst aktuell – nicht nur für die Betroffenen, sondern gerade auch für uns: für Religionsfreiheit zu beten…und da speziell auch die Regierungen und ihre Vertreter in das Gebet einzubeziehen, dass sie sich auf einen Weg der Menschlichkeit begeben.
Wichtig ist mir dabei festzuhalten, dass so ein Gebet ganz im Sinne des Predigttextes dann auch wirklich allen Menschen zugutekommt, da jede und jeder von einer solchen Freiheit etwas hätte. Das Gebet für die Obrigkeit zielt auf die Religionsfreiheit aller Menschen – auch für Menschen anderer Religionen.
Dann ein zweites: geht es bei der Fürbitte für die Obrigkeit um Frieden – Shalom, das nicht nur friedliche, sondern auch gerechte Verhältnisse im Blick hat, brauchen wir uns nur unsere Welt angucken.
Da ist soviel Sehnsucht nach wirklichem Frieden…nicht nur in Syrien, im Irak, im Nahen Osten, im Jemen, in Afghanistan…
Da ist das Gebet für Joe Biden, Waldimir Putin und all die anderen sehr nahe liegend.
Für sie zu beten hieße, Gott zu bitten, dass ER bei diesen Menschen etwas aufbricht…sei es die Angst, die dazu führt, immer nur Stärke zeigen zu müssen…sei es der Starrsinn, der einen nur in Sackgassen führt…sei es die Machtgier, die eigene Interessen über die von anderen Völkern stellt…sei es der Hass, der nur den Tod nährt und nicht das Leben…
Dass ER etwas aufbricht…um Wege des Friedens und der Mitmenschlichkeit freizulegen…
…und sie gleichzeitig im Gebet da zu bestärken, wo sie Initiative für Frieden zeigen…zeigen sollten.
Aber auch heruntergebrochen auf unsere bundesrepublikanische Wirklichkeit schadet das Gebet für unsere „Obrigkeit“ nicht…es ist vieles im Argen: der wachsende Rassismus…die rechtsradikalen Bewegungen…die soziale Spaltung. Wo gerade die Pandemie die Wunden auch in unserer Gesellschaft offenlegt.
Also lassen Sie uns beten für die Regierungen, für die Mächtigen dieser Welt…sie haben es nötig…in vielfacher Hinsicht…
Das Gebet ist sicherlich nicht das Einzige, was wir tun können. Aber es ist vielleicht die allererste Lebensäußerung unseres Christseins…mit der Verheißung, dass es nicht umsonst ist…
…immerhin – so heißt es in unserem Predigttext: Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung.
Mit unserem Gebet würden wir das bestärken, was Jesus in seinem Leben und Sterben angefangen hat – für uns hier auf Erden ein Reich zu schaffen, dass Frieden unter uns Menschen – und Frieden zwischen Gott und uns Menschen bringt.
Amen.
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