02/07/2024 0 Kommentare
Anleitung zum Gläubig werden
Anleitung zum Gläubig werden
# Predigten

Anleitung zum Gläubig werden
Von Lars Schütt. Gedanken zum Predigttext Apostelgeschichte 17,22-34
Wenn Menschen mich um ein Gespräch bitten, dann geht es in den meisten Fällen um die Frage: „Wie finde ich zum Glauben?“. Für die meisten liegt die Herausforderung darin, dass sie „Gott“ nicht sehen, verstehen oder irgendwie begreifen können. Gleichzeitig meinen sie aber doch irgendetwas zu spüren, was wie eine „höhere Macht“ zu sein scheint. Oft bringen die Leute sehr konkrete, religiöse oder theologische Fragen mit und es ist verführerisch, auf diese direkt zu antworten, was ich dazu denke. Im Laufe der Zeit habe ich mir angewöhnt, damit vorsichtiger zu sein, also nicht so schnell auf diese Fragen zu antworten. Stattdessen frage ich mich immer erstmal: Was braucht dieser Mensch, damit er selbst Antworten auf seine Fragen geben kann? Klar, Anregungen und Impulse von außen sind wichtig. Warum sollte ich ihm also nicht anbieten, was ich dazu zu sagen habe? Zum einen weil es hier nicht einfach um Antworten oder Lösungen geht, sondern darum, in eine Beziehung zu Gott zu kommen. Das Evangelium ist keine Theorie, die ich nur richtig verstehen muss, es ist eine Einladung in ein Leben mit Gott. Bevor ich also Anregungen gebe und von mir und meinem Glauben, meinem Gottesbild erzähle, versuche ich dem Menschen dabei zu helfen, in sich selbst etwas zu finden, was ihn antreibt, die Suche nach Gott überhaupt aufzunehmen. Denn nach dem Gespräch mit mir ist dieser Mensch wieder mit sich und seinen Fragen allein. Und dann ist es langfristig vielleicht sinnvoller, wenn er gefunden hat, was ihn motiviert und ihm Ausdauer verleiht. Denn der Weg ist lang und die Suche nach Gott braucht Zeit.
Schön wäre es, wenn wir eine Art Anleitung hätten für die Suche nach Gott. Wie geht das, mit Gott in Kontakt zu kommen? Worauf sollte ich achten? Woran erkenne ich, ob ich auf einem guten Weg bin? In dem Predigttext für heute gibt uns Paulus wertvolle Hinweise dazu. Ich bin selbst etwas überrascht, dass ich das so sagen kann. Denn Paulus erlebe ich an anderer Stelle als, für meinen Geschmack, zu absolut, zu überheblich. Einer der überzeugen will und dem anderen dabei wenig Raum lässt. Aber hier in Athen zeigt er sich von einer erstaunlich anderen Seite. Vielleicht liegt es auch daran, dass er hier in Athen auf neugierige, wissenshungrige und offene Menschen trifft, die ihn dazu einladen, mit auf den Areopag zu kommen. Der Areopag war sowohl ein Hügel mit Blick auf die Akropolis, aber auch das höchste Gericht der Griechen. Die Leute sind offenkundig sehr daran interessiert, was Paulus ihnen in Sachen Religion Neues zu sagen hat. Paulus nimmt diese Einladung an und zu meiner Überraschung legt er nicht sofort los und erzählt von dem Mann aus Nazareth oder von seinem persönlichen Bekehrungserlebnis, nein. Er beginnt ganz anders:
In Athen: Paulus spricht auf dem Areopag
22Paulus trat in die Mitte des Areopags und sagte:
»Ihr Bürger von Athen!
Nach allem, was ich sehe,
seid ihr sehr fromme Leute.
23Ich bin durch die Stadt gegangen
und habe mir eure heiligen Stätten angeschaut.
Dabei habe ich auch einen Altar gefunden,
auf dem stand: ›Für einen unbekannten Gott‹.
Das, was ihr da verehrt, ohne es zu kennen,
das verkünde ich euch.
24Es ist der Gott, der die Welt geschaffen hat
und alles, was in ihr ist.
Er ist der Herr über Himmel und Erde.
Er wohnt nicht in Tempeln,
die von Menschenhand errichtet wurden.
25Er ist auch nicht darauf angewiesen,
von Menschen versorgt zu werden.
Er ist es doch, der uns allen
das Leben, den Atem und alles andere schenkt.
26Er hat aus einem einzigen Menschen
die ganze Menschheit hervorgehen lassen,
damit sie die Erde bewohnt.
Für jedes Volk hat er festgesetzt,
wie lange es bestehen
und in welchen Grenzen es leben soll.
27Er wollte, dass die Menschen nach ihm suchen –
ob sie ihn vielleicht spüren oder entdecken können.
Denn keinem von uns ist er fern.
28Durch ihn leben wir doch,
bewegen wir uns und haben wir unser Dasein.
Oder wie es einige eurer Dichter gesagt haben:
›Wir sind sogar von seiner Art.‹
29Weil wir Menschen also von Gottes Art sind,
dürfen wir uns nicht täuschen:
Die Gottheit gleicht keineswegs
irgendwelchen Bildern aus Gold, Silber oder Stein.
Die sind nur das Ergebnis menschlichen Könnens
und menschlicher Vorstellungskraft.
30Nun – Gott sieht nachsichtig über die Zeiten hinweg,
in denen die Menschen ihn nicht gekannt haben.
Aber jetzt fordert er alle Menschen
an allen Orten auf, ihr Leben zu ändern.
31Denn Gott hat einen Tag festgesetzt,
um über die ganze Welt zu richten.
Dann wird er Gerechtigkeit walten lassen –
durch den Mann, den er dazu bestimmt hat.
Dass dieser Mann wirklich dafür bestimmt ist,
hat Gott allen Menschen
durch dessen Auferstehung von den Toten bewiesen.«
32Als Paulus von der Auferstehung der Toten sprach,
lachten ihn einige seiner Zuhörer aus.
Aber andere sagten:
»Darüber wollen wir ein andermal mehr von dir hören!«
33So verließ Paulus die Versammlung.
34Einige Leute schlossen sich ihm an
und kamen zum Glauben.
Unter ihnen war Dionysius, der dem Areopag angehörte,
eine Frau namens Damaris und noch einige andere.
Anstatt dass Paulus also zuerst seinen Glauben entfaltet, geht er auf Erfahrungen ein, die die Griechen kennen. Mehr noch, es sind solch elementare Erfahrungen, dass auch wir und vermutlich jeder Mensch sie kennt. Als erstes spricht Paulus von dem „Altar für den unbekannten Gott“, den er in Athen gesehen hat. Der „Altar für den unbekannten Gott“ ist ein gutes Bild für diesen inneren Impuls, zu Gott beten zu wollen, obwohl er oder sie unbekannt ist. Wer kennt das nicht, wenn einem im Moment der größten Not ein sogenanntes Stoßgebet über die Lippen geht, das einen selbst überrascht „Bitte Gott, hilf!“. Oder auch im Moment des größten Glücks, wenn ich das tiefe Bedürfnis habe, mich bei „jemandem“ zu bedanken. Ich wende mich einem unbekannten Gegenüber zu, ganz intuitiv, ohne, dass ich mir das überlegt hätte. Dieser „Altar für den unbekannten Gott“ scheint mir in jedem Menschen angelegt zu sein. Es ist ein „innerer Altar“. Ein Resonanzraum für das Göttliche, der dann aktiv wird, wenn wir an unsere Grenzen kommen.
Dann spricht Paulus eine weiter Erfahrung an (V 24/25): Die Frage nach dem Sinn des Lebens. Woher komme ich und wohin gehe ich? Die großen Schöpfungsfragen bewegen auch jeden Menschen. Es ist die Erfahrung der Lebendigkeit, der Kraft und der Kreativität. Aber, gleich darauf folgt dann eine ganz gegenläufige aber ebenso grundlegende Erfahrung (V 26): Die Begrenztheit unseres Lebens, sowohl in der Zeit als auch im Raum. Der Mensch erlebt sich also mal schöpferisch und lebendig wie ein Gott und im nächsten Augenblick begrenzt und endlich. Und in dieser Spannung heraus kann es passieren, dass der Mensch anfängt zu fragen und zu suchen: „Er wollte, dass die Menschen nach ihm suchen – ob sie ihn vielleicht spüren oder entdecken können.“
Paulus hat viele Menschen kennen gelernt und einen Blick dafür, wer bereits in dieser Suchbewegung ist. Die Griechen, die da vor ihm stehen, sind es. Neugierig, wissbegierig, gebildet und religiös erfahren. Sie suchen Gott und sind offen für neue Anregungen. Paulus ahnt sicher, dass sie auch die letzte Erfahrung kennen, von der er nun spricht: Die Erfahrung von Gottes Nähe. Eine Erfahrung, die sich nicht im Kopf zuträgt, sondern eher im Herzen. Symbolisch gesprochen. Aber eben ein Erfahrung, die wir verhindern, wenn wir sie alleine über den Intellekt zu finden versuchen. Wir haben diesen Drang, den unbekannten Gott sichtbar zu machen, ihn sehen und begreifen zu können. Und dann entstehen schnell Götzenbilder. Ein Götzenbild muss nicht ein Bild oder eine Statue sein. Ein Götzenbild kann alles mögliche sein, womit ein Mensch glaubt, Gottes Nähe verfügbar zu machen. Rituale, ein Kult oder die Art, wie ich über Gott rede. Alles kann zum Götzenbild werden, wenn ich damit abschließend beantworten will, wie oder was Gott ist.
Paulus legt Wert darauf, dass die Menschen, zu denen er hier spricht, sich nicht von einer Antwort zur nächsten, von einem Götzenbild zum anderen, hangeln sondern, dass sie den Kontakt zu dem unbekannten Gott selbstständig und souverän und aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen finden. „Denn keinem von uns ist er fern“, ermutigt er sie, „durch ihn leben wir doch, bewegen wir uns und haben wir unser Dasein. Oder wie es einige eurer Dichter gesagt haben: Wir sind sogar seiner Art“.
Was Paulus hier im Angesicht der Akropolis erzählt, ist nicht direkt eine Anleitung zum Gläubig werden. Aber er beantwortet die Frage, was ein Mensch braucht auf seinem Weg zum Glauben. Und gerade da, in Athen, wo es Impulse und Anregungen von außen in Fülle gibt, geht er auf das ein, was im Inneren des Menschen ist. Die wichtigste Erfahrung ist vielleicht dieser „Innere Altar“. Von diesem inneren Raum aus beginnt die Bewegung, über die Fragen nach dem Leben, nach der eigenen schöpferischen Kraft, den eigenen Grenzen in die Suche nach Gott. Wichtig ist, dass das kein linearer Weg ist. Die Bewegung geht aus dem Inneren nach außen, die Suche führt in den Kontakt mit anderen Menschen mit Austausch, Anregungen und Erkenntnissen. Aber eben auch mit Rätseln, Enttäuschungen oder Überforderung. Und dann geht es immer wieder zurück zu dem inneren Altar für den unbekannten Gott und die Bewegung beginnt von Neuem. Immer wieder und jedes Mal ist der Weg etwas anders, etwas reicher und klarer. Und meine Erfahrung ist die, dass dieses Gefühl von Gottes Nähe irgendwann unvermittelt, fast heimlich und leise wie auf Socken angeschlichen kommt, eine Weile da ist und wieder verschwindet. Im Laufe der Jahre hat sich das Gefühl von Gottes Nähe irgendwie in mir angesiedelt. Ich glaube, dass das geschieht, wenn wir diesen elementaren Erfahrungen Raum geben, in Bewegung bleiben und Ausdauer mitbringen.
Nun will ich nicht übergehen, dass im zweiten Teil des Predigttextes doch wieder diese andere Seite vom Paulus aufblitzt. Er kommt auf das zu sprechen, was Gott, seiner Ansicht nach, von uns erwartet: Unser Leben zu ändern. Und in nur einem Vers (31) lässt er dann seine Theologie vom Gericht und Kreuz aufblitzen. Ich habe den Text diese Woche mit verschiedenen Menschen besprochen und einige haben sich daran gestoßen und haben eine überheblich, missionarische Art darin gesehen. Als ob Paulus den Leuten die Pistole auf die Brust legt und Druck aufbaut. Ich finde allerdings nicht, dass Paulus hier Druck aufbaut. Sie haben ihn gefragt und er hat bezeugt, woran er glaubt. Nicht mehr und nicht weniger. Im Anschluss an seine Rede gibt es manche, die das lustig finden und gehen. Und es gibt andere, die neugierig geworden sind und mehr hören wollen. Und das lässt Paulus so wie es ist. Er macht keine Anstalten, die überzeugen zu wollen, die sich nicht dafür erwärmen können. Er respektiert ihr Souveränität.
Beides ist wichtig auf dem Weg zum Glauben: Hier der Kontakt zu unserem „Inneren Altar“, der uns erdet, uns unseren Rhythmus und unsere Geschwindigkeit gibt. Und dort die Herausforderung durch andere Menschen und ihre Erfahrungen. Menschen, die mit ihren Ideen, Gedanken und Überzeugung zu uns durchstechen, uns aus der Reserve locken. Der innere Altar gibt uns die Souveränität, selbst darüber zu entscheiden, ob das, was uns ein Pfarrer oder ein Paulus oder ein Bibeltext zu sagen hat, hilfreich ist und uns Gott näher bringt oder nicht.
„Denn keinem von uns ist Gott fern“
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