Predigt zum Reformationsfest 2020

Predigt zum Reformationsfest 2020

Predigt zum Reformationsfest 2020

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Predigt zum Reformationsfest 2020

Von Elisabeth Schwab.  

Liebe Leserin, lieber Leser!

Reformationsfest ist das Fest der Freiheit. Die Freiheit zum Reden, die Freiheit von Furcht, die Freiheit im Glauben – diese dreifache Freiheit steht im Zentrum dieses Tages. Das gilt in meinen Augen allgemein; aber es gilt in jedem Fall für den Reformationstag 2020.

Und diese dreifache Freiheit zum Reden, von der Furcht und im Glauben ist uns heute vorgegeben durch den Predigtabschnitt. Er stammt aus der Aussendungsrede, mit der Jesus seine Jünger auf den Weg schickte. Mit dieser dreifachen Freiheit werden auch wir auf den Weg geschickt:

Matthäus 10, 26 – 33

Es ist nichts verborgen, was nicht offenbar wird, und nichts geheim, was man nicht wissen wird. Was ich euch sage in der Finsternis, das redet im Licht; und was euch gesagt wird in das Ohr, das predigt auf den Dächern. Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet euch aber viel mehr vor dem, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle. Kauft man nicht zwei Sperlinge für einen Groschen? Dennoch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater. Darum fürchtet euch nicht; ihr seid besser als viele Sperlinge. Wer nun mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater. Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater.“

Die Freiheit zum Reden ist das erste. „Raus mit der Sprache!“ Viele kennen diese Aufforderung; sie haben sie als Jugendliche gehört oder als Eltern von ihr Gebrauch gemacht: „Raus mit der Sprache!“ Oder sogar: Komm endlich raus mit der Sprache! Das Donnerwetter braute sich spürbar am Horizont zusammen. Man war froh, wenn es vorbei war. Aber eine klärende Wirkung hatte sogar ein solches Donnerwetter. Hinterher war die Luft wieder rein und der Himmel hell.

Darum geht es auch in der Freiheit zum Reden, die zur Reformation gehört wie die Luft zum Atmen. Die „Freiheit eines Christenmenschen“ und das „Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen“ machen zusammen den Freiheitsgeist der Reformation aus. Christen sind von Gott zum aufrechten Gang befreit und können sich deshalb in den Dienst ihres Nächsten stellen – das ist die eine Botschaft. 

Und die andere: Wer im Gewissen frei und deshalb nur an Gott gebunden ist, der braucht sich nicht zu verbiegen, vor keiner Macht der Welt.

Martin Luther hat diese Botschaft nicht neu erfunden. Martin Luther hat sich darauf besonnen, worin die Kirche Jesu Christi zu allen Zeiten und an allen Orten ihren Grund hat: in Gottes Gnade, die in Jesus Christus Mensch geworden ist. 

Also „Raus mit der Sprache!“

Jesus sagt: „Was ich euch sage in der Finsternis, das redet im Licht“.

Als eine Stadt auf dem Berge bezeichnet er die Gemeinschaft der Glaubenden, ja sogar als ein Licht der Welt. Freimütiges Predigen und fröhliches Bekennen – darauf kommt es an. Reformation heißt: Frei zum Reden. Keine Zeit und keine Kirche ist davon ausgeschlossen. Denn die Kirche Jesu Christi ist, recht verstanden, immer auf dem Weg der Reformation. Dass das Evangelium zu Gehör kommt, das ist ihr Kern.

Die Freiheit zum Reden ist das eine – die Freiheit von der Furcht das andere.     Gerade in diesen Tagen sind viele von uns doch ganz schön durchgeschüttelt:     Furcht bestimmt das Lebensgefühl.

Die Thomaskirche, die am 1. November entwidmet wird, der anstehende Abschied von der Versöhnungskirche und dann noch der letzte Gemeindegottesdienst in der Christuskirche.  Das sind große, für viele von uns schmerzliche Einschnitte im Leben unserer Emmaus-Gemeinde. Was soll werden?

Und dann sind ja auch andere, persönliche Sorgen - um die Gesundheit, die drohende Diagnose des Arztes, das bange Gefühl verletzlich zu sein. Um die berufliche Existenz, um Ausbildung oder den eigenen Betrieb. Festen Boden hat keiner unter den Füßen - wir schwimmen in vielfacher Hinsicht.

Die Zeit, in welcher der Tod zum Fürchten war, ist vorbei. Das Sterben macht uns aus guten Gründen Angst, aber der Tod ist nicht zum Fürchten. 

Christen fürchten sich nicht mehr vor dem, „der Leib und Seele verderben kann in der Hölle“– der einzige, vor dem das Fürchten sich lohnen würde. Aber Christen können von der Hölle so sprechen, wie ein katholischer Theologe des vergangenen Jahrhunderts das beispielhaft getan hat. Wir können nicht leugnen, dass es die Hölle gibt. Aber niemand verpflichtet uns zu glauben, dass jemand drin ist. An die Stelle der Furcht vor der Hölle tritt für Christen die Ehrfurcht vor Gott.

Die Gottesfurcht macht furchtlos. Das ist die zweite Botschaft des Reformationstags. Deshalb ist in dieser Zeit nichts so wichtig wie das, dass wir von Gott reden. Wenn Gott schon für die Vögel sorgt, wie viel mehr weiß Gott von unserer Sehnsucht und unserer Angst, von unserer Einsamkeit, von unseren Enttäuschungen und unserer Hoffnung. Gott kennt uns gut, er ist bei uns und leidet mit uns. Er hat alle Tiefen des Lebens am eigenen Leib durchgemacht und versteht etwas davon, wie es uns Menschen ergeht. 

Freiheit von der Furcht gewinnen wir aus dem Vertrauen auf Gottes Fürsorge.   

Jesus verwendet dafür die denkbar drastischsten Bilder: die Bilder von den Spatzen und von den Haaren auf dem Haupt. Spatzen waren zu Jesu Zeit die Geflügelbraten der armen Leute. Sie sind nicht viel wert; es war auch nicht viel dran; deshalb waren sie für billiges Geld zu haben; trotzdem fällt keiner vom Himmel ohne Gottes Willen.  Noch drastischer als das Spatzenbild ist das Bild von den Haaren, die angeblich nicht ohne Gottes Zutun vom Haupt fallen, weil Gott sie alle gezählt hat.

Schnell spürt man, was mit diesem extremen Vergleich nicht gemeint ist: Es hat keinen Sinn, sich bei Haarausfall auf Gott zu berufen. Denn es hat auch keinen Sinn, Gott darum zu bitten, dass er die Naturgesetze außer Kraft setzt, wo er doch selbst die Natur an diese Gesetze gebunden hat. Unser Glaube hat nichts mit solchen magischen Vorstellungen zu tun. Frei von Furcht sind wir, weil wir von Gott Gutes erhoffen – über all unser Bitten und Verstehen hinaus.

Und schließlich: frei im Glauben. Darin bündelt sich der Sinn der Reformation. Was bräuchten wir heute dringender als dies? Dass unsere Seele durch Glauben frei und heil wird, ist das Nötigste von allem.  Unsere Seele braucht nicht krank zu sein; denn der Geist Jesu befreit uns aus der Heillosigkeit.

„Fürchtet euch nicht!“, sagt Jesus. Kommt heraus aus den Mauern eurer Verängstigung.  Lasst uns Reformation in diesem Jahr als Unterbrechung, besser eben als Freiheit von Furcht feiern. Deshalb fordert er uns auf, so hellhörig und aufmerksam zu sein für das, was zwischen den vielen Worten der Menschen an Sorge mitschwingt. Sagt weiter, dass Gott in Jesus Christus ein neues Angebot des befreiten Lebens macht. „Fürchtet Euch nicht!“ Ruft es hinaus, so dass kein Mensch verzweifeln muss.

Liebe Nachfolgerin, lieber Nachfolger Jesu, trauen wir uns, mit anderen von dem zu sprechen, was unserem Leben Tiefe und Halt gibt.   

Trauen wir uns, sie zu fragen, wer Gott für sie ist, wo sie den Sinn finden.                   

Vertrauen wir auf Gottes Geist, der mit Menschen unterwegs ist.

Diese Freiheit von der Furcht kann zusammen mit der Freiheit zum Reden und zur Freiheit im Glauben ausstrahlen.

Nehmen Sie diese Freiheit mit in die kommenden Wochen!

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