Predigt zum 19. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zum 19. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zum 19. Sonntag nach Trinitatis

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Predigt zum 19. Sonntag nach Trinitatis

Und nach etlichen Tagen ging er wieder nach Kapernaum; und es wurde bekannt, dass er im Hause war. Und es versammelten sich viele, sodass sie nicht Raum hatten, auch nicht draußen vor der Tür; und er sagte ihnen das Wort. Und es kamen einige, die brachten zu ihm einen Gelähmten, von vieren getragen. 4Und da sie ihn nicht zu ihm bringen konnten wegen der Menge, deckten sie das Dach auf, wo er war, gruben es auf und ließen das Bett herunter, auf dem der Gelähmte lag. Da nun Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem Gelähmten: Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.

Es saßen da aber einige Schriftgelehrte und dachten in ihren Herzen: Wie redet der so? Er lästert Gott! Wer kann Sünden vergeben als Gott allein? Und Jesus erkannte alsbald in seinem Geist, dass sie so bei sich selbst dachten, und sprach zu ihnen: Was denkt ihr solches in euren Herzen? Was ist leichter, zu dem Gelähmten zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben, oder zu sagen: Steh auf, nimm dein Bett und geh hin? 10 Damit ihr aber wisst, dass der Menschensohn Vollmacht hat, Sünden zu vergeben auf Erden – sprach er zu dem Gelähmten: 11 Ich sage dir, steh auf, nimm dein Bett und geh heim!  12 Und er stand auf und nahm sogleich sein Bett und ging hinaus vor aller Augen, sodass sie sich alle entsetzten und Gott priesen und sprachen: Wir haben solches noch nie gesehen.

Liebe Leserinnen und Leser,

zu meiner Taufe wurde mir eine Kinderbibel geschenkt. Und als ich ein kleiner Junge war, habe ich diese Bibel oft in den Händen gehabt und habe mir natürlich vornehmlich die Bilder angeguckt. 

Eines, von dem ich besonders fasziniert war, ist dises Bild aus dieser Bibel:

Mit den Augen eines Kindes blieb ich an diesem Detail der Erzählung immer wieder hängen: wie da die vier Männer den Gelähmten durch die Decke des Hauses heruntergelassen haben.

Als Kind fand ich es besonders aufregend, dass die ein Loch durch die Decke gehauen haben. Und ich fand überhaupt den Einfallsreichtum bemerkenswert. 

Gucken wir auf den Text so wird nichts Näheres über diese vier Männer gesagt. Waren es Freunde des Gelähmten oder Nachbarn – oder waren sie nur zufällig an ihm vorbeigekommen und haben geistesgegenwärtig den Gelähmten mitgenommen…wo doch gerade Jesus in der Gegend war?

Eigentlich ist das auch gar nicht so wichtig. Mehr noch: es ist eigentlich gut, dass das Verhältnis der Vier zu dem Gehandikapten offen ist. Denn entscheidend ist, dass da diese vier Männer einem anderen helfen. Dass sie sich nicht von der großen Menschenmenge abschrecken lassen und dass sie eben einen Weg finden, um den Gelähmten zu Jesus zu bringen.

Zwei Dinge lerne ich aus diesem Vorgehen:

Das eine ist, dass diese Erzählung quasi eine Blaupause dafür darstellt, wie es in einer Kirche aussehen sollte: anderen zu helfen. So wie es Bonhoeffer auf den Punkt gebracht hat: Kirche ist nur dann Kirche, wenn sie „Kirche für andere“ ist. 

Und daraus abgeleitet, dass Kirche und so auch Gemeinde immer ein kollektives Geschehen ist. Christlicher Glaube ist ein Gemeinschaftsunternehmen. „Kirche für andere“ ist gelebte Solidarität.

Das andere ist, dass es auch unorthodoxer Wege bedarf. Man braucht nicht immer gleich ein Loch in eine Decke zu schlagen. Aber entscheidend ist das Ziel, jemanden helfen zu können. Die Flüchtlingssituation in unserem Land und auch in unserer Gemeinde – speziell ab 2015 – hat uns gezeigt, dass mehr möglich ist als wir vorher vielleicht gemeint und geglaubt haben.   

Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

Wo ein Glaube ist, ist auch ein Weg.

Nun wird aber noch mehr in dieser Geschichte erzählt, was ich damals als Kind gar nicht so beachtet habe. Erst als ich älter wurde, fiel mir das auf:

Jesus heilt nicht einfach den Gelähmten. Er bringt – wie aus heiterem Himmel – die Sündenvergebung mit ins Spiel: „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.“

Aber was hat das eine mit dem anderen zu tun?

Ist eine Behinderung oder gar eine Krankheit Ausdruck oder Folge von Sünde? Denn diese Frage drängt sich ja unweigerlich auf.

Dummerweise wurde das dann auch viel zu oft unter uns Christenmenschen kolportiert. 

Aber ich finde diese Verzahnung von Behinderung/Krankheit und Sünde schwierig. 

Sicherlich: wir wissen, dass es - wenn jemand Raubbau an seiner eigenen Gesundheit betreibt –  kein Wunder ist, wenn sich dann z.B. eine Krankheit einstellt. Aber was hat das mit Sünde zu tun?

Oder was hat ein Kind getan, dass mit 13 Jahren an Krebs stirbt? Will da jemand ernsthaft von Sünde sprechen? Oder wenn jemand an Covid19 erkrankt? Selbst bei denen, die sich aufgrund von Leichtsinn angesteckt haben sollten? Ist das Sünde?

Daher die Frage: warum sagt Jesus dann aber als allererstes – eben wie aus heiterem Himmel – „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.“?

Zwei Beobachtungen:

Die erste: die von Jesus ausgesprochene Sündenvergebung ist absolut bedingungslos. Der Gelähmte selbst hat dazu nichts beigetragen. Gucken wir genau hin, sagt Jesus diesen Satz zum Gelähmten nachdem er den Glauben der vier Männer sieht – das Vertrauen bei den Vieren, dass er dem Gelähmten helfen kann. 

Dieses kleine Detail ist wichtig, weil oberflächlich das alles so verstanden werden könnte, dass der Glaube des Gelähmten angesichts seiner Sünde die Voraussetzung für eine Sündenvergebung notwendig wäre. Das ist aber nicht so. 

Die zweite Beobachtung: die Umstehenden reagieren zunächst empört, weil sie zu Recht davon ausgehen, dass doch nur Gott alleine Sünden vergeben kann. Und das ist ein Schlüssel zum Verständnis, warum Jesus von der Sündenvergebung spricht.

Denn Jesus bringt ganz bewusst das, was er tut, in einen größeren Zusammenhang. 

Was meine ich damit?

Direkt am Ende des vorangehenden Kapitels schreibt der Evangelist Markus, dass Jesus quasi von Hilfesuchenden überrannt wird: sie kamen zu ihm von allen Enden. 

Seine Zuwendung zu Kranken und anderen Hilfesuchenden hatte sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen. Und – so verstehe ich den Gesamtzusammenhang – Jesus wollte eben eines nicht: als ein Wunderheiler wahrgenommen zu werden. Denn er war – ist – mehr als das. Für Markus aber auch für die anderen Autoren und Autorinnen des Neuen Testamentes ist er der Sohn Gottes – mehr als nur ein begabter Mensch, die es zu allen Zeiten schon immer auch gegeben hat.

Was ist leichter, zu dem Gelähmten zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben, oder zu sagen: Steh auf, nimm dein Bett und geh hin?

Nach biblischer Logik ist das Schwierige das Vergeben der Sünden.

Jesus versucht also ein Bild von sich zurechtzurücken. 

Er präsentiert sich als derjenige, der – eben ganz Gotts Sohn – auch die Vollmacht hat, Sünden zu vergeben. 

Kurzum: die Behinderung des Mannes und der Umstand, dass er wie jeder Mensch eben auch Sünder ist, stehen nicht in einer direkten Beziehung. Die Existenz als Sünder bedingt nicht die Behinderung. 

Behinderung oder auch Krankheit mit Sünde zu verzahnen, erscheint mir theologisch ernsthaft nicht nur nicht geboten, sondern ich empfinde das auch in letzter Konsequenz als zynisch und unmenschlich: weil es den oder die Betroffene im Regen stehen lässt. Denn es wird ja vermittelt: Selbst schuld.

Und vor allem verbaut es bei dieser Erzählung den Blick auf das Evangelium.

Denn besagt ja, dass bei Gott – und in seiner Fluchtlinie stehend bei Jesus – das eine wie auch das andere möglich ist: die Heilung und auch Vergebung der Sünden …d.h.: Versöhnung mit Gott. 

Natürlich gehört beides – Heilung und Versöhnung – gerade auch im Blick auf das Reich Gottes zusammen und doch wird beides im hier und jetzt nicht gegeneinander ausgespielt. 

Das wird auch am Ende der Erzählung deutlich. Da sprechen alle, dass sie so etwas noch nicht gesehen haben, und preisen Gott. Es wurde anscheinend verstanden, dass sich hier die vorbehaltlose Menschenliebe Gottes gezeigt hat – und eben nicht nur ein Wunderheiler. 

Ein abschließender Blick zurück auf das Bild: der Gelähmte wäre ohne Jesus aufgeschmissen – ohne die vier Männer aber auch. Und das ist auch das Besondere dieser Erzählung: Gottes Menschenliebe und unser menschliches Tun gehören zusammen – so dass sich in unserem Tun Gottes grenzenlose Liebe widerspiegeln kann. Und das ist doch wunderbar.

Amen. 

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