Predigt für den Sonntag ROGATE

Predigt für den Sonntag ROGATE

Predigt für den Sonntag ROGATE

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Predigt für den Sonntag ROGATE

Von Elisabeth Schwab.

Liebe Leserinnen, liebe Leser, Rogate – Betet! So heißt dieser Sonntag und gibt uns damit das Thema vor. Das gemeinschaftliche Beten im Gottesdienst – es fehlt mir in diesen Wochen und Monaten. Und so tut es mir gut, mich von dem Thema des Sonntags zum Beten anregen zu lassen.

Im Predigttext geht es um das Vaterunser. Es ist Teil der Bergpredigt, in der Jesus seinen Schülerinnen und Schülern Ratschläge gibt für ein gutes gottgefälliges Leben entsprechend den Regeln der Tora. Und er gibt Ihnen mit:

Wenn du betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten. Und weiter: Euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet.                                      Darum sollt ihr so beten:

Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt.

10 Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.

11 Unser tägliches Brot gib uns heute.

12 Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

13 Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. [Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.]  (Matthäus 6, 9-13) 

 Das Vater Unser! Es ist das bekannteste Gebet der Christen. Jesus selbst hat es des Seinen beigebracht. Es hat eine große Kraft. Es verbindet Christen auf der ganzen Welt.

Was meint Beten überhaupt?

Wenn wir beten, richten wir unser Herz, unsere Sinne, unsere Aufmerksamkeit auf Gott. Beten heißt einsehen und eingestehen: so Vieles liegt nicht in meiner Macht:  dass es mir gut geht und dass ich mein Leben als sinnvoll empfinde. Sinn und Glück in meinem Leben sind mir immer geschenkt - von guten Mächten, von einer größeren, mich übersteigenden Wirklichkeit, einem Geheimnis, das mich umgibt und dass ich spüren und erahnen kann, wenn ich mich dafür öffne. Es ist gut und wichtig, dass wir beten. Und beten ist zu können ist, so merkwürdig das klingt, ein Geschenk, das man erst durch das Beten erhält.

„Vater Unser im Himmel“

Das Erste, was Jesus uns lehrt ist, dass wir zu Gott Vater sagen dürfen. „Abba“, auf aramäisch, der Sprache Jesu, „lieber Vater“ oder „Papa“. So dürfen wir Gott anreden. An anderen Stellen ist von Gott auch als guter Mutter die Rede: "Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet" (Jesaja 66,13). Das sind Bilder. Es geht darum, eine tiefe persönliche Beziehung zu Gott zu beschreiben: an Gott könnt Ihr Euch wenden, so wie  Kinder sich zu einem guten Vater oder einer liebevollen Mutter wenden. So sollen wir erkennen, indem wir Gott bei uns Raum geben und eine innere Beziehung zu Ihm aufbauen.

Und Gott ist Vater aller Menschen, auch jener, die wir nicht besonders mögen, er gehört mir nicht. Deswegen ist Vater Unser, eine Anrede, die Solidarität mit allen Menschen miteinschließt.

„Dein Name werde geheiligt“

Wir sollen den Namen Gottes ehren und achten. Ich soll das Wort Gott nicht anstelle meines eigenen Egos setze und für meine Zwecke missbrauchen; der Name Gottes soll durch unser Leben nicht für oberflächliche Wünsche oder Ideologien eingesetzt werden; im Namen Gottes dürfen keine Kriege geführt werden.

Der Name Gottes ist bis heute für fromme Juden unaussprechbar. Und auch uns gilt: Durch seine Heiligkeit und Größe entzieht sich Gott immer wieder unserem Begreifen und Verstehen. Wir können und sollen ihn nicht festlegen mit unseren Worten, Begriffen und Bildern.                                                                                                                                                   Im Ersten Testament wird der Gottesname einmal ausgelegt als der „Ich bin der Ich-bin-da“ (vgl. Exodus 3, 14). Indem ich mich auf diesen Namen einlasse und mich von ihm formen lasse, indem ich genauso für andere da bin, mache ich Gott sichtbar.

„Dein Reich komme“ und „Dein Wille geschehe“

Gottes Wille zielt auf eine Welt, die gerecht ist für alle Menschen. Die Tyrannen dieser Welt werden nicht das letzte Wort behalten. Gottes Wille zielt auf eine solidarische Welt, in der materielle und geistige Güter gerecht verteilt sind und für alle zur Verfügung stehen.

Aber weil diese Welt in weiten Zügen noch so gar nicht dem Willen Gottes entspricht, ist die Bitte „dein Reich komme“ auch eine Bitte um Kraft und Energie, dass auch wir Betenden uns für eine gerechtere Welt einsetzen können. Betende wie Martin Luther King. Er träumte von einer Welt, in der alle Menschen die gleichen Rechte haben, unabhängig von ihrer Hautfarbe oder Religion. Kraft zum Aufstehen bekam er durch sein Vertrauen auf Gott.

Gottes Wille zielt auf eine gerechtere Welt und auch auf eine heilere Welt (vgl. 1 Thess 4,3),  in der die Liebe Gottes sich durchsetzt und die Liebe die Wunden der Menschen und der ganzen Welt heilt: Gebeugten werden aufgerichtet,  Gefangenen befreit, Trauernden werden getröstet….. Heilung bedeutet auch, dass die dunklen Mächte und „Dämonen“, wie Zwänge, Süchte, destruktive Lebensmuster, die unsere Seelen beherrschen können, in ihrer Einflusskraft geschwächt oder sogar besiegt werden.

„Unser tägliches Brot gib uns heute“

Mit der Bitte um Brot bitten wir um ein Lebensmittel, ein Grundnahrungsmittel, das alle Menschen brauchen, und das auch in unserer Zeit längst nicht für alle Menschen ausreichend vorhanden ist. 

Die Sorge um das was wir essen werden, kennen wir auch aus den letzten Monaten. Hamstern war ein Phänomen der Krise, besonders in den ersten Wochen. Erst mit der Zeit wuchs wieder das Vertrauen, dass wir genug bekommen.

Und viele Menschen haben immer noch mehr als sie brauchen. Es wurden wohl noch nie so viele Lebensmittel weggeworfen wie heute. Das meiste, was wir Menschen der Wohlstandsgesellschaft haben, brauchen wir nämlich nicht wirklich.

Insofern kann uns diese Bitte auch vor die Frage stellen: Was brauche ich wirklich? Was nährt mich und lässt mich in einem tieferen Sinn leben? Was brauche ich täglich? Gemeint ist also das, was ich letztlich nicht horten und auf Vorrat anlegen kann.

Jeder Tag zeigt mir aufs Neue, was ich wirklich brauche.

„Und vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben ...“

Bin ich einem anderen Menschen etwas schuldig geblieben? Bin ich Gott etwas schuldig geblieben? Gibt es etwas, was andere mir schuldig geblieben sind? Und wenn ja, habe ich vergeben, ist die Sache geklärt? Wir wissen, dass schuldig sein und bleiben, Schuld nicht zu entschuldigen, für alle Beteiligten zu einer lebenslangen Last werden kann. Deshalb möchte ich bei der Bitte um Vergebung auch die Bitte um Hilfe beim Vergeben mithören: Hilf mir Gott, anderen zu vergeben, was sie mir schuldig geblieben sind: meinen Eltern, Geschwistern, den Kindern, dem Partner, der Partnerin. Hilf mir, damit auch mir vergeben werden kann.  Wieviel leichter wird das Leben, wenn das gelingt!

Wenn wir so bitten, vertrauen wir darauf, dass Vergeben und Schulden erlassen zu unseren menschlichen Möglichkeiten gehört, dass wir es können, auch wenn das mitunter ein schwerer und langer Weg ist. Doch wer vergeben und verzeihen kann, wer die Bitte von Schuldnern um Vergebung annehmen kann, erlebt Befreiung und wird von negativen Energien, die ihn binden und um die Verletzung kreisen lassen, erlöst.

„Und führe uns nicht in Versuchung“

Dies ist die wohl am schwierigsten zu verstehende Bitte des Vaterunsers. Es klingt eine abgründige Erfahrung an, nämlich, dass Gott einen Menschen über seine Kraft hinaus prüfen kann. In diesem Sinne ist die Versuchung auch eine Verunsicherung des Vertrauens in Gott und seine Liebe, gerade auch angesichts dessen, was uns in der Welt widerfahren kann an persönlicher Not, an Krankheit, Hass, Gewalt und Zerstörung.

Ach Gott, lass uns der Versuchung nicht erliegen!

Und wenn wir uns verlieren, dann zeig uns den Weg zurück ins Leben; führe uns aus dem Schlamassel heraus, führe und bewahre uns in der Versuchung.        

Ich will vertrauen, dass Gott unser Heil und Heilwerden will und kein Interesse daran hat, uns in Versuchungen zum Bösen zu stellen.

„Erlöse uns von dem Bösen“

Wir sind verstrickt in die ungerechten Strukturen dieser Welt, in der wir uns z.B. daran gewöhnt haben, dass alle zuerst ihren Vorteil suchen. Oder dass es im Leben hauptsächlich darauf ankommt, die eigenen Fähigkeiten besonders zur Geltung zu bringen und sich durchzusetzen – ungeachtet der Folgen für den anderen. Deshalb bitten wir um Befreiung von dem Bösen, denn selbst schaffen wir das kaum. Die Frage, woher das Böse kommt, bleibt unbeantwortet. Das Böse existiert. 

Vielleicht können wir sagen: Das Gute und das Böse, beides ist bei Gott aufgehoben.

Erlöse uns, befreie uns aus den Verstrickungen mit Deiner Macht, Gott, die größer ist.  

[Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.]

Heute weiß man, dass der Schluss des Vaterunsers von den ersten christlichen Gemeinden hinzugefügt wurde, daher die Klammern im Text. Aber der Schluss passt, denn es ist so etwas wie das Zeugnis nach bestandener Lehre: Ja, das habe ich jetzt gelernt, das habe ich verstanden in dieser Schule des Betens. Beten ist Einüben ins Vertrauen. Alles, die ganze Welt, mein ganzes Leben ist umfasst von diesem Reich und der Kraft und der Herrlichkeit Gottes.  

Wenn ich diese vertrauten Verse, die die meisten von uns auswendig kennen, ja als Kinder schon gelernt haben, bete, dann denke ich nicht nach. Ich ergebe mich. Ich beabsichtige nichts, ich wehre mich nicht und will diese Worte nicht besitzen, ich leihe sie mir.

Die Kraft dieses überlieferten Gebetes liegt auch darin, dass sie uns mit unseren Müttern und Vätern im Glauben verbindet. Unsere Toten haben sie vorgewärmt mit ihrem Glauben und ihrer Hoffnung. Beim Beten dieser Worte berge ich mich in den Glauben derer, die vor mir waren. Ich reihe mich ein, bin nicht die Erste und auch nicht die Letzte, sondern Teil einer großen Gemeinschaft.  

Was ich von diesem Sonntag ROGATE und seinem Evangelium mitnehme: Gott weiß, was wir brauchen, bevor wir ihn bitten. Wir sollen beten. Aber wir müssen beim Beten keine „Meisterleistung“ bringen, es reicht Schülerin, Jüngerin, Student oder Geselle dieses Meisters zu sein.  

Ja, Beten ist schwer, wenn es mir unvertraut ist, wenn mir die Worte fehlen und ich nicht weiß, wer da eigentlich etwas hören soll und was das eigentlich bewirken soll. Es ist schwer, wenn mir die Gemeinschaft und vielleicht auch die Kirche als Ort fehlt.  Aber das Beten ist ein Geschenk, wir erhalten es aber erst, wenn wir es tun.

Eine Erinnerung zum Beten gibt es jeden Tag: immer noch läuten jeden Abend in unserer Stadt die Glocken um 19.30 Uhr. Sie laden ein zum Beten. Wer die Glocken hört, kann im stillen Kämmerlein einstimmen und mit der ganzen Christenheit auf Erden beten, „wie unser Herr Jesus Christus uns gelehrt hat“. 

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