„Es braucht immer wieder neu die Flughöhe“ - Dr. Steffen Schramm im Gespräch

„Es braucht immer wieder neu die Flughöhe“ - Dr. Steffen Schramm im Gespräch

„Es braucht immer wieder neu die Flughöhe“ - Dr. Steffen Schramm im Gespräch

# Neuigkeiten aus Emmaus

„Es braucht immer wieder neu die Flughöhe“ - Dr. Steffen Schramm im Gespräch

Im Jahr 2021 hat Dr. Steffen Schramm auf der Synode unseres Kirchenkreises einen Vortrag zu seinem Buch „Gemeinde geht weiter“ gehalten. Damit hat er einen nachhaltigen Impuls zu dem Prozess „Evangelische Kirche in Düsseldorf“ gegeben. Im Interview mit Lars Schütt schaut er mit uns über den Tellerrand, wie sich andere Kirchenkreise derzeit aufstellen und erläutert, worauf es aus seiner Sicht in solchen Entwicklungsprozessen ankommt.

Lieber Herr Schramm, wir haben uns in Düsseldorf auf den Weg gemacht, eine Gemeinde zu werden. Gibt es noch andere Kirchenkreise, die so einen Weg gehen und von denen wir lernen könnten?

Es wird derzeit in vielen Kirchenkreisen darüber diskutiert, zu dem alten Modell „Eine Stadt – eine Parochie“ zurückzukehren. In der Pfalz gibt es ein kleines Dekanat, das beschlossen hat, ein gemeinschaftlich verbundenes Pfarramt zu werden. Am weitesten ist aber Pforzheim. Der Kirchenkreis hat im November 2023 entschieden, die Parochien abzuschaffen und sich nach thematischen Schwerpunkten zu organisieren. Es wird keine Ältestenkreise (Presbyterien) mehr geben. Alle Arbeit, auch im Umkreis der Stadt, wird auf die Ebene der Stadtgemeinde geholt.

Was bedeutet denn die Organisation nach Themen?

Unter dem Leitmotto „Gemeinsam ein Segen sein“ soll es in Pforzheim ab 2025 künftig nur noch einen Pfarrbezirk und fünf Themenbereiche geben: Ins Leben wachsen; Leben gestalten; Glauben vertiefen; Herausforderungen angehen; Leben feiern. Dahinter stehen natürlich auch noch bewährte Arbeitsfelder, aber der Unterschied ist, dass nicht mehr in inside-out-perspektive „Angebote“ „für“ „Zielgruppen“ gemacht werden, sondern von „Anspruchsgruppen“ und deren Bedürfnissen her gedacht wird. Der Vorteil der Organisation in Themenschwerpunkten besteht darin, dass Kirche dadurch näher an den Menschen, ihren Interessen und Bedarfen ist, und sensibler reagieren kann. Dieses Modell ist auch reaktionsstärker als das parochiale System, weil innerhalb eines Themas schneller umgebaut werden kann.

Wie wird das konkret aussehen?

Es werden multiprofessionelle Teams gebildet, die die Themenbereiche leiten. Aber im Detail muss das noch entwickelt werden. Da sind noch viele Fragen zu klären, wie z.B. ein KSV gebildet wird, wenn es keine Presbyterien mehr gibt. Oder welche Kompetenzen die Themenbereiche jeweils haben.

Verstehe ich das richtig, dass die Pforzheimer sich für ein Modell entschieden haben, ohne die Strukturen geklärt zu haben?

Nun, die Grundstruktur ist geklärt, die strategische Entscheidung gefällt. Jetzt geht es an die Umsetzung und die Details. In Pforzheim hat man sich die Rahmenbedingungen für 2035 vor Augen geführt und sich einer „Zukunftsprüfung“ unterzogen. Und dann zwei Modelle ausgearbeitet: ein Regionalmodell – Verbünde von Parochien mit Schwerpunkten des bisherigen Programms – oder das weitergehende Modell „Ein Dekanat, eine Gemeinde, fünf Themenfelder“. Daraus ist die Einsicht entstanden, dass es nicht um ein langsames Umbauen oder Priorisieren gehen kann.

Aber geht es nicht darum, Prioritäten zu setzen?

Wenn wir nach Prioritäten fragen, dann reduzieren wir lediglich den Status Quo. Aber wir schaffen keine neue Kirche, die eine Chance hat, unter den künftigen Bedingungen zu existieren. Meine These ist: Wir müssen uns neu in Beziehung setzen zu relevanten Umwelten. Und eine andere Haltung entwickeln. Aktuell verstehen wir uns z.B. grundsätzlich als Kirche für die Menschen. Aber darin steckt auch etwas Paternalistisches. Als wüssten wir, was für die Menschen gut ist. Die Realität sieht bekanntlich anders aus. Was aber würde sich verändern, wenn wir uns als Kirche mit Menschen verstünden? Oder als eine Kirche der Menschen, die sich als Infrastruktur für Sinnvolles versteht?

Das hört sich nach Arbeit an. Wie gut läuft das denn in Pforzheim?

In Pforzheim laufen Workshops mit vielen Beteiligten und Fachleuten aus verschiedenen Landeskirchen. In enger Abstimmung mit dem Landeskirchenamt. Solche Prozesse brauchen generell eine gewisse Flughöhe und Verständigungen mit relativ vielen Menschen.

Was meinen Sie mit Flughöhe?

Es geht ja um strategische Fragen. Und ehrlicherweise sind wir das in Kirche nicht so gewohnt. Es gibt immer wieder diesen Reflex, sich in das Eigene zu retten. Wir müssen uns daher lösen von den ganz konkreten und operativen Fragen, um die großen Linien zu erkennen und herauszufinden, wie wir Kirche sein wollen und wie wir uns in unseren Kontexten neu verorten. Und dabei hilft die Flughöhe, also die ehrliche Betrachtung der Bedingungen in der Zukunft. Wenn wir von dorther denken, dann wird auch Gemeinden, bei denen es noch relativ gut läuft, schnell klar, dass das ganz bald nicht mehr so ist. Und wenn das vielen Menschen gleichzeitig klar wird, kommt etwas in Bewegung.

Wie zuversichtlich schauen Sie in die Zukunft der Evangelischen Kirche?

Wenn ich sehe, wie schwer es vielerorts fällt, die Realität anzuerkennen und ein klein wenig vorauszudenken, dann bin ich nicht sehr optimistisch. Und wir sind schon spät dran mit notwendigen Veränderungen. Andererseits knospt es unter den Blättern, wie z.B. in Pforzheim. Oder wenn an vielen Stellen darüber nachgedacht wird, Immobilien nicht einfach zu verkaufen, sondern Immobilienentwicklungsgesellschaften zu gründen, um flexibel mit dem eigenen Gebäudebedarf umgehen zu können und Gewinne zu erwirtschaften. Das führt auch aus der Diskussion „Wer gewinnt, wer verliert“ heraus.

Was empfehlen sie uns in Düsseldorf für unseren Prozess?

Ich weiß zu wenig von Ihrem Prozess, um Empfehlungen auszusprechen. Grundsätzlich würde ich sagen: Gehen Sie raus aus dem operativen, kurzfristigen Geschäft, verschaffen Sie sich Flughöhe und sorgen Sie für Beteiligungsformate.

 

Dr. Steffen Schramm ist Pfarrer und Leiter des Instituts für kirchliche Fortbildung in der Evangelischen Kirche der Pfalz.

 

Informationen zum Prozess in Pforzheim

https://www.evkirche-pf.de/aktuell-2/ekiba-2032-in-pforzheim/


Das Interview ist erschienen in der Mai-Ausgabe der GEMEINDEZEIT.

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