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Predigt am Sonntag Laetare (10.3.2024)
Predigt am Sonntag Laetare (10.3.2024)
# Predigten
Predigt am Sonntag Laetare (10.3.2024)
7 Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. 8 Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der Herr, dein Erlöser. 9 Ich halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor, dass die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten. So habe ich geschworen, dass ich nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten will. 10 Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer.
Liebe Gemeinde,
dieser Text ist eine emotionale, gedankliche und auch theologische Herausforderung!
Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln....
Was heißt das denn? Ein „Kleiner Augenblick“? Und einen Satz weiter:
„Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen...“? Ein wenig...!
Heißt das, dass sich Gott abwendet...sich abwenden kann...und uns Menschen uns selber...den Folgen unserer Taten überlässt?
Wie können wir diese Worte hören…allein angesichts der Kriege in dieser Welt: Ukraine, Syrien…angesichts des Massakers der Hamas am 7. Oktober…angesichts der humanitären Katastrophe im Nahen Osten?
Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen...
Wie mögen die diese Worte gehört haben, die damals zur Zeit des Propheten gelebt haben?
Damals befand sich der größere Teil des Volkes im Babylonischen Exil. Das Land war zerstört – von den Babyloniern, der damaligen Weltmacht, dem Erdbodengleich gemacht...vor allem deswegen, weil Israel damals versuchte, im Machtspiel der Großmächte mitzumischen. Zerstörung und Deportation als Folge einer falschen Politik. Selbst verschuldet. „Mitgehangen – mitgefangen“ ...im wahrsten Sinne des Wortes.
Hätten die Menschen damals bei den Worten Jesajas sagen können: „Ja – Gott konnte unserem größenwahnsinnigen Treiben nicht weiter zuschauen...SEINE Worte wollten wir damals nicht hören...ER hat noch versucht, uns auf den richtigen Weg zu führen...doch wir waren verblendet und unsere Ohren waren taub. Da hat ER sich weggedreht – kurz – damit wir merken, was wir falsch gemacht haben...“
Hätten sie das damals sagen können?
Ich weiß es nicht.
Und vor allem: was ist mit denen, die ohne einen eigenen Anteil – ohne Verschulden ins Elend geraten – geraten sind…all die unschuldigen Opfer?
Wie hört es sich da an: ein „kleiner“ Augenblick...ein „wenig“?
Wie hört es sich für die Opfer an?
Denn damals gab es eben auch die, die nichts dafür konnten – die im wahrsten Sinne des Wortes in den Abgrund „mitgerissen“ worden sind.
Und heute?
Ukraine – Alte, Männer, Frauen, Kinder – Syrien, Israel, Palästina? Von Auschwitz wollen wir erst gar nicht sprechen.
Kommen wir nicht mächtig ins Stottern?
Mehr noch: ins Verstummen?
Kann es da ein wirklicher Trost sein, dass Gott dann mit großer Barmherzigkeit sammelt...dass ER mit ewiger Gnade erbarmen wird?
Die Vorstellung, dass Gott wegguckt, ist in unserer Welt ein beängstigender Gedanke.
Die Vorstellung, dass Gott uns unserem Tun allein überlässt, ist schrecklich.
Allein dass ER überhaupt die Möglichkeit dazu hat...
Und: ist aus dem „kleinem Augenblick“, aus dem „ein wenig“ mehr geworden – ein „schon lange“…aus unserer Perspektive…unserer Wahrnehmung?
Wissen wir doch: Gott darf nicht weggucken – ER darf uns nicht verlassen – keine Sekunde.
Sicherlich: je mehr wir über unsere Welt nachdenken, hätte Gott mehr als einen guten Grund sich von uns zu verabschieden – sich abzuwenden.
Effektiv befindet sich Gott selbst in einem Dilemma:
ER gab uns diese Welt – und wir sind keine Marionetten – nicht ferngesteuert.
Wir Menschen tun und entscheiden – und all unsere Entscheidungen/all unser Tun hat Folgen: positiv wie eben auch negativ.
Das was an Grauen in dieser Welt gerade geschieht und was in der Vergangenheit geschehen ist: das ist und bleibt Menschenwerk.
Und daher: Gott weiß, dass wir ohne IHN nichts wären.
ER weiß um uns.
ER weiß, worauf ER sich eingelassen hat, als ER mit uns dieses Abenteuer eingegangen ist – mit Menschen, die in all ihrer Abgründigkeit so Schreckliches anrichten können.
Die Vorstellung, dass Gott wegguckt, ist in unserer Welt ein beängstigender Gedanke.
Gibt es da wenigstens etwas, an dem wir uns irgendwie festhalten... festklammern können? Etwas, damit wir nicht den Verstand verlieren…
und: nicht resignieren müssen?
Ich möchte dazu – den aus meiner Sicht – wunderbaren Theologen Fulbert Steffensky zitieren, der in einem Interview jüngst folgendes gesagt hat…und ich denke, dass seine Worte auch zu unserem heutigen Predigttext passen:
„An Gott glauben, heißt auch, an Gott leiden; leiden an seiner Dunkelheit und an seiner Unverstehbarkeit. Gott zu vermissen, gehört zu unserem erwachsenen Gottesglauben.
‚Wo bleibt denn Euer Gott?‘ Das ist die Frage, auf der der Atheismus besteht, es ist die Frage der Psalmen…
Ich gehe sonntags in den Gottesdienst, nicht weil ich so fromm bin, eher aus dem Gegenteil: mein kärglicher Glaube reicht nicht. Im Gottesdienst stoße ich auf den Glauben meiner Geschwister. Wir teilen unsere dünne Glaubenssuppe, und wir werden alle halbwegs satt. Ich bin Zeuge des Glaubens meiner Toten, wenn ich das Glaubensbekenntnis spreche, die Psalmen bete, die Lieder von Paul Gerhardt sind und in den Kirchen sitze, die sie gebaut haben. Ich bin Zeuge des Glaubens meiner Toten, wenn ich ihre Sprache spreche und ihre Gesten wiederhole. Die Toten bezeugen meinen Glauben. Ich werde lebendig, indem ich in den Trost ihrer Texte schlüpfe…“
Es gibt zwei Dinge, die Jesaja formuliert – zwei Aspekte - in die wir hineinschlüpfen können:
Zum einem ist da der Verweis auf die Flutgeschichte – auf Noah: wo es ja so erscheinen kann, dass Gott selbst über das menschliche Zerstörungspotential überrascht gewesen wäre – wo ER SEINEM Zorn freien Lauf gelassen hat...und wo es IHM gereut...ER sich selbst ins Stammbuch schreibt, so etwas nie wieder zu tun: die Menschheit der Zerstörung preiszugeben. Nie wieder – Never again!
Also das Versprechen, dass beinhaltet: dass Gott selbst gerade nicht hinter all dem Grauen steckt.
Das Versprechen, das Zerstörungspotential von uns Menschen nicht das letzte Wort haben wird.
Zum anderen mündet Jesajas Rede in einem Bildwort aus, das es in sich hat:
Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer.
Die Wahl der Bilder ist aufregend: „Berge, die weichen“ – „Hügel, die hinfallen“. Eigentlich ergibt das erst einmal keinen Sinn. Berge weichen nicht – Hügel fallen nicht hin. Normalerweise. Beides steht erst einmal für Stabilität, auch wenn uns Naturkatastrophen gelehrt haben, dass vieles im wahrsten Sinne des Wortes „hinfällig“ werden kann.
Und daher: selbst wenn es so kommt – wir es so erleben, dass all das, was bisher Bestand für uns – unser Leben – unsere Welt dargestellt hat...wenn also all das, was uns bisher als sicher erschien, nicht mehr ist...uns wegbricht… wenn sich vor uns der Boden auftut und uns zu verschlingen droht… selbst wenn das geschehen sollte: Gottes Treue zu uns – SEIN Mit-uns-sein wird nicht „weichen“ – wird nicht „hinfallen“.
Es ist also ein Bildwort, dass nicht verheißt, das nichts passieren wird/kann – ein Wort, das Leiden – Elend nicht ausklammert – und zugleich auch nicht gutheißt. Das die Welt – so wie sie ist – nicht romantisiert...schön redet.
Es ist vielmehr ein Wort, das uns nur – aber gleichzeitig unmissverständlich – die Zusage mit an die Hand gibt, dass wir – ganz gleich was geschieht – von Gott gehalten sind.
Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer.
Unser Trost im Leben wie im Sterben ist allein diese Zusage: dass wir gehalten sind von Gott.
Aber nochmals:
Gott, DER sich abwenden kann…und DER uns verspricht zu halten.
Wie wir das nun auch drehen und wenden: es ist keine Gleichung, die sich auflösen lässt. Es bleibt ein Rand, der aneckt und der schmerzt und uns in den Abgrund ziehen kann.
Was bleibt ist allein das Hineinschlüpfen in die alten Hoffnungstexte und sich daran festklammern.
Amen.
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