02/07/2024 0 Kommentare
Predigt am 2. Sonntag nach Epiphanias (14.1.2024) über Hebräer 12,12-17
Predigt am 2. Sonntag nach Epiphanias (14.1.2024) über Hebräer 12,12-17
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Predigt am 2. Sonntag nach Epiphanias (14.1.2024) über Hebräer 12,12-17
12 Deswegen richtet die herabhängenden Hände und die geschwächten Knie wieder auf, 13 und ebnet die Wege mit euren Füßen, damit lahme Menschen nicht vom Weg abkommen, sondern vielmehr geheilt werden. 14 Jagt mit allen dem Frieden und der Heilung nach, ohne die niemand die EWIGE sehen wird. 15 Achtet darauf, dass niemand Gottes Zuneigung fernbleibt, dass nicht etwa eine bittere Wurzel nach oben wächst und lästig wird, und viele durch sie beschädigt werden. 16 Achtet darauf, dass niemand eine unzüchtige und unreine Gesinnung hat wie Esau, der für eine einzige Speise sein Erstgeburtsrecht verkaufte. 17 Ihr wisst ja, dass Esau später, als er den Segen erben wollte, verworfen wurde, denn er fand keinen Weg zur Umkehr, obwohl er unter Tränen danach gesucht hatte.
Liebe Gemeinde,
im Leben gibt es diese bitteren Erfahrungen, dass etwas unwiederbringlich verloren gegangen ist – oder dass das eigene Tun oder Unterlassen etwas in Gang gesetzt hat mit Konsequenzen, mit denen wir leben müssen.
Es sind Erfahrungen, die wahrscheinlich alle von uns schon einmal gemacht haben…sicherlich in unterschiedlicher Dichte und auch Schwere.
Da stirbt jemand und das, was zwischen einem gestanden hat, wird nie wieder verschwinden können. Worte der Vergebung, das Gefühl, mit jemanden wieder im Reinen zu sein: nur noch Wunschdenken - unerreichbar.
Aber nicht nur der Tod serviert uns solche Erfahrungen.
Beziehungen, Freundschaften, die durch „was auch immer“ einen solchen Knacks bekommen, dass da hinterher nichts mehr von dem ist, was vorher mal war. Wo eine falsche Handlung oder ein erschüttertes Vertrauen etwas zum Kippen gebracht ist. Wo vielleicht noch Frieden wiederhergestellt werden kann…auch Vergebung denkbar ist…wo aber das Vertraute…die Intimität sich verflüchtigt hat…es nie mehr so sein wird wie vorher.
Verspielt - verloren.
Aber nicht nur im Privaten gibt es diesen „point of no return“, der - wenn er überschritten ist - etwa zum Kippen bringt.
Im Großen ist es doch auch das, was angesichts der Erwärmung unseres Planeten so bedrohlich ist.
Wenn sowieso fürchterliche Konflikte immer weiter eskalieren…Flächenbrände entstehen.
Wenn gesellschaftliche Entwicklungen bedrohliche Ausmaße annehmen…
Es gibt Vieles im Leben, wo viel auf dem Spiel steht.
Der heutige Predigttext kreist um diese Erfahrung – um dieses Wissen.
Nicht umsonst mündet er in die Erinnerung an die Geschichte von Esau aus, die wir eben auch in der Lesung hören konnten.
Denn Esau ist eines der biblischen Beispiele, die diese bittere Erfahrung der Unwiederbringlichkeit einer Situation widerspiegeln - wo mit den Konsequenzen des eigenen Handelns zu leben ist.
Grundsätzlich – das sage ich als Vor-Satz – müssen wir aber bei der Geschichte von Esau unterschiedliche Perspektiven auseinanderhalten.
Da ist die Perspektive des Verfassers des Hebräerbriefes, der die Geschichte von Esau und seinem Bruder auf die reine Handlungsebene – auf eine dramatische Brudergeschichte – runterbricht…dazu noch mit einer negativen Bewertung: „unzüchtig“ und „unrein“ übersetzt das die Bibel in gerechter Sprache - Luther spricht sogar von Hurerei.
Diese negative Bewertung Esaus wird diesem aber nicht gerecht.
Daher die andere Perspektive, die den größeren Kontext bzw. die theologische Dimension beinhaltet: Denn Esau hatte als Erstgeborener eigentlich nie eine wirkliche Chance. So wie schon Gott einen kinderloses altes Ehepaar - Abraham und Sarah - ausgewählt hat, ein Volk zu gründen und damit zum Ausdruck brachte, dass für IHN eben nicht die Naturgesetze – das Recht des Stärkeren…die menschliche Potenz und auch nicht das Naturgesetzt der Erstgeburt – das Weitere bestimmen sollen, statuiert er bei Esau und Jakob ein weiteres Exempel: nicht der Erstgeborene und Starke – eben Esau –, sondern der zarte Zweitgeborene Jakob soll die Segensgeschichte fortführen.
Und so hatte Esau nie eine Chance. Und zugleich ist er auch in der Hebräischen Bibel nicht verloren gegangen. Gott hat auch ihm seinen Platz gegeben.
Dieses sollten wir immer im Hinterkopf behalten, wenn wir die auf die reine Handlungsebene runtergebrochene Esaugeschichte ansehen.
Und diese Handlungsebene erzählt eben davon, dass Esau seinem knurrenden Magen mehr Gewicht gibt als dem Erstgeburtsrecht. Für ein einfaches Gericht mit der Nachhaltigkeit weniger Stunden verscherbelt er seine Zukunft. Es ist wie ein unterschriebener Vertrag, der ihm - ohne Widerrufsrecht - etwas nimmt. Für immer.
Auf die Handlungsebene runtergebrochen - und das isoliert betrachtet - zeigt sich hier ein menschliches Drama: der Schrecken als Esau klar wird, was er da gemacht hat…er nichts mehr ändern kann.
So wie wenn etwas bei uns abgebrochen…zerbrochen ist…eine Todesnachricht uns erreicht.
Es gibt also – so gesehen – keinen Grund, auf Esau herabzublicken.
An dieser Stelle ist mir die Bewertung in unserem Predigttext sehr fremd: sie ist frühchristlich arrogant und zu selbstsicher.
Esau in diesem Augenblick seiner Entscheidung sind auch wir - wir mit unseren Erfahrungen.
Esau ist da - in diesem Moment - unser Bruder.
Und auch wenn ich die kritische Sicht des Hebräerbriefes auf Esau nicht teile, so doch ganz und gar, was der Verfasser seiner Gemeinde und so auch uns anhand dieser Esaugeschichte nahebringen will: dass viel auf dem Spiel steht und dass uns das bewusst sein soll.
Auf diesem Hintergrund sind seine Worte zu verstehen:
…richtet die herabhängenden Hände und die geschwächten Knie wieder auf, und ebnet die Wege mit euren Füßen, damit lahme Menschen nicht vom Weg abkommen, sondern vielmehr geheilt werden.
Jagt mit allen dem Frieden und der Heilung nach, ohne die niemand die EWIGE sehen wird. Achtet darauf, dass niemand Gottes Zuneigung fernbleibt, dass nicht etwa eine bittere Wurzel nach oben wächst und lästig wird, und viele durch sie beschädigt werden.
Was bei diesen verschiedenen Aufforderungen an die Gemeinde auffällt, dass es nicht einfach um die eigene Person geht.
All diese Aufforderungen haben immer ein Gegenüber im Auge.
Beim eigenen Tun geht es um einen Blick auf das Wohl der Anderen, das mit dem eigenen Verhalten untrennbar verbunden ist:
…richtet die herabhängenden Hände und die geschwächten Knie wieder auf, und ebnet die Wege mit euren Füßen, damit lahme Menschen nicht vom Weg abkommen, sondern vielmehr geheilt werden.
Hier wird die Sozialität des Menschen ins Gedächtnis gerufen: dass wir als Menschen immer – ob wir es wollen oder nicht – in Beziehung zu anderen stehen.
Niemand lebt für sich selbst. Wir SIND eingebunden in ein zwischenmenschliches Geflecht. Und so hat mein Tun wie auch mein Nichttun Konsequenzen für andere…und so auch für mich.
Anderen nicht unter die Arme zu greifen, lässt sie „im Regen stehen“…und eben dann auch unter Umständen mit irreversiblen Konsequenzen für die Betroffenen - was vorab nicht auszuschließen ist – und am Ende auch für einen selbst.
Und anderen keine Orientierung zu geben…mehr noch sie mit in die Irre locken, kann den Absturz für die Schwachen - die Lahmen - bedeuten. Und auch das wiederum Konsequenzen für das Ganze – und wie ein Bumerang trifft es dann an irgendeiner Stelle auch einen selbst.
Unser Miteinander ist – wie das Wort schon sagt – ineinander verschränkt und ist entsprechend sensibel.
Und gerade unsere aktuelle gesellschaftliche Situation, in der so vieles im Wanken ist, ist doch nichts anderes als eine Konkretisierung dieses sensiblen Aufeinanderbezogenseins.
Wohin steuern wir gesellschaftlich?
Erodiert mehr und mehr unser Gesamtgefüge…der Gedanke, dass wir alle aufeinander bezogen sind…und daher immer auch Verantwortung für das Ganze und so für jeden und jede zu tragen haben?
Oder wird nur noch das kultiviert, was das scheinbar Eigene betrifft - und wo alles andere …und vor allem die anderen - egal ist und sind?
Wir befinden uns in einer wahnsinnig komplizierten Zeit.
Es ist Wahlkampf - und auch abseits davon scharren die mit ihren Hufen, die das Miteinander in dieser von Gott bunt geschaffenen Welt leugnen, sondern nur Partikularinteressen bedienen und dabei auch an die niederen Instinkte appellieren.
Es ist nicht nur ein Treffen in einem Potsdamer Landhaus, bei dem die Deportation – und das wäre nichts anderes – von Menschen, die einem rechtsextremen Menschenbild nicht entsprechen, das auf abscheulichste Art und Weise deutlich macht, was auf dem Spiel steht. Die da zusammen saßen sind Menschenfeinde.
Wir leben in Zeiten, in denen demokratische Strukturen diskreditiert und demontiert werden. Strukturen, die – so gut oder schlecht man eine jeweilige Regierung auch finden mag – die Sozialität in einer Gesellschaft in ihrer DNA hat.
Wohin steuern wir?
Jagt mit allen dem Frieden und der Heilung nach, ohne die niemand die EWIGE sehen wird. Achtet darauf, dass niemand Gottes Zuneigung fernbleibt, dass nicht etwa eine bittere Wurzel nach oben wächst und lästig wird, und viele durch sie beschädigt werden.
Frieden biblisch verstanden ist umfassend: Frieden bedeutet, dass alle – ALLE Menschen – stressfrei leben können. Dem sollen wir nach-jagen – weil er sich nicht von selbst einstellt…weil der Frieden gefährdet ist: nachjagen…FÜR die anderen und so auch FÜR uns selbst.
Der Verfasser des Hebräerbriefes formuliert all das und führt gerade deswegen Esau mit auf, damit seine Gemeinde das eigene Handeln nicht leichtnimmt: dass auch wir unser Handeln nicht leichtnehmen.
Weil doch viel auf dem Spiel steht.
Liebe Gemeinde,
die Gefahr ist am Größten, wenn wir eben diese Sozialität aus dem Blick verlieren…wenn nicht nur der „soziale Kitt“, sondern auch das, was uns geistig zusammenhält, verloren geht: als Menschen – als Geschöpfe Gottes in aller Verschiedenheit auf dieser Welt.
Positiv formuliert: das Wahrnehmen unserer Sozialität - von Gott geschenkt - Sozialität, die alle betrifft…ganz gleich wie sie aussehen oder woher sie kommen…was sie glauben…ist unser Weg zum Segen für alle…uns eingenommen.
Es ist eine biblische Strategie, dieser bitteren Erfahrung, dass etwas unwiederbringlich verloren gegangen ist, entgegenzusteuern.
Und diese Sozialität zu bejahen…und so Verantwortung anzunehmen, ist der erste Schritt.
Amen.
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