02/07/2024 0 Kommentare
Predigt über Lukas 10,25-37
Predigt über Lukas 10,25-37
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Predigt über Lukas 10,25-37
Und siehe, da stand ein Schriftgelehrter auf, versuchte ihn und sprach: Meister, was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe? Er aber sprach zu ihm: Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest du? Er antwortete und sprach: ”Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst“. Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geantwortet; tu das, so wirst du leben. Er aber wollte sich selbst rechtfertigen und sprach zu Jesus: Wer ist denn mein Nächster? Da antwortete Jesus und sprach:
Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die Räuber; die zogen ihn aus und schlugen ihn und machten sich davon und ließen ihn halbtot liegen. Es traf sich aber, dass ein Priester dieselbe Straße hinabzog; und als er ihn sah, ging er vorüber. Desgleichen auch ein Levit: als er zu der Stelle kam und ihn sah, ging er vorüber. Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam dahin; und als er ihn sah, jammerte er ihn; und er ging zu ihm, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn in eine Herberge und pflegte ihn. Am nächsten Tag zog er zwei Silbergroschen heraus, gab sie dem Wirt und sprach: Pflege ihn; und wenn du mehr ausgibst, will ich dir’s bezahlen, wenn ich wiederkomme. Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste gewesen dem, der unter die Räuber gefallen war? Er sprach: Der die Barmherzigkeit an ihm tat. Da sprach Jesus zu ihm: So geh hin und tu desgleichen!
Liebe Gemeinde,
das ist eine ziemlich bekannte Geschichte mit einer auf den ersten Blick sehr eindeutigen Botschaft: da ist jemand in Not – es gibt zwei mögliche Helfer – ein Priester und ein Levit, die aber nichts tun, und dann ist da dieser Samaritaner, der sich erbarmt und hilft.
Er ist das Vorbild – die beiden anderen nicht.
Alles irgendwie bekannt und anscheinend eindeutig.
Aber ist das wirklich so?
Der eine der „good guy“ – die anderen die „bad guys“?
Daher möchte ich heute gar nicht in erster Linie über den Samaritaner sprechen, sondern mehr die beiden anderen betrachten: den Priester und den Leviten, den Tempeldiener.
Klar! Beide sind Menschen, die es doch eigentlich besser wissen müssten! Denn das Gebot der Nächstenliebe, nach dem Jesus befragt wird, ist ja ein essentieller Bestandteil des jüdischen Glaubens – Nächstenliebe ist eines der Basisgebote der Tora.
Und trotzdem helfen die beiden nicht.
Für unsere christlichen Ohren scheint das alles glasklar zu sein: die beiden Vertreter des jüdischen Glaubens ignorieren einfach das Gebot. Der Samaritaner hingegen, ein Mensch aus Samarien – dem nördlichen Teil Israels, die von den anderen Juden als nicht gleichwertig angesehen wurden, erfüllt die Tora.
Und so wurde diese Geschichte lange und gerne innerhalb des Christentums als Hinweis verdreht, dass eben „DIE“ Juden selber ihren Glauben nicht ernst nehmen – dafür aber andere.
Aber das ist Blödsinn.
Denn in unseren Kontext transponiert würde es nämlich so klingen: da liegt ein Deutscher ausgeraubt und verletzt irgendwo am Straßenrand in einer einsamen Gegend und ein Pfarrer kommt vorbei und geht weiter…dann ein Ratsherr der Stadt Düsseldorf und geht auch weiter…und erst ein vorbeiziehender Asylsuchender nimmt sich des Verletzten an.
Diese Geschichte liefert keinen Grund, sich über andere zu erheben.
Es geht nicht um den moralischen, gehobenen Finger.
Es geht um etwas anderes:
Daher zurück zum Priester und Leviten:
Sie sind keine bösen Menschen.
Keine Ignoranten. Wahrscheinlich waren sie warmherzig, freundlich.
Aber es gibt etwas, was die beiden daran hindert, zu helfen – oder es wenigstens zu versuchen.
Aber was hat sie gehindert, zu helfen?
War es die Angst, die Räuber könnten noch in der Gegend sein – so dass es darum ginge, so schnell wie möglich von jenem Ort wegzukommen?
War es, dass sie jeweils dachten, dass sie es sich nicht leisten könnten, jetzt zu helfen – sonst würden sie zu spät kommen?
Trauten sie sich Hilfe erst gar nicht zu?
Waren sie von dem Anblick paralysiert?
Erstarrt vor Schrecken?
Wer weiß!
Ganz gleich: die Erfahrung lehrt uns, dass es immer viele Gründe gibt, weiter zu gehen – sein Gesicht abzuwenden.
Denn so eine Notsituation kommt immer zum absolut unpassenden Zeitpunkt.
Gerade dann, wenn man es nicht braucht.
Und wenn ich ehrlich bin: würde ich mich in dieser Geschichte verorten müssen, stände ich den beiden wahrscheinlich sehr viel näher als dem Samaritaner.
Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste gewesen dem, der unter die Räuber gefallen war?
So fragt Jesus.
Der Nächste um den es geht, ist gerade nicht derjenige oder diejenige, die ich mir aussuchen kann. Er oder sie fällt mir vor die Füße. Drängt sich mir durch seine oder ihre Not auf. Wird mir so zum Nächsten – zur Nächsten.
Nächstenliebe ist also keine exklusive Haltung denen gegenüber, die mir nahe stehen…die ich mag. Nein: Nächstenliebe ist in erster Linie eine Haltung der Menschlichkeit gegenüber denen, die ich gar nicht kenne…die mir fremd sind: wo allein zählt, dass da jemand ist, der oder die Hilfe braucht.
So verstehe ich diese Geschichte als eine Geschichte zum Lernen – um sich einlassen zu können, auf das, was da kommen mag.
Und da sind zwei Aspekte wichtig.
Der eine: uns wird vor Augen geführt, dass wir uns nicht aussuchen können, für wen und wann Hilfe notwendig ist und wann nicht.
Der Samaritaner ist kein besserer Mensch als die beiden anderen.
Er kann wohl in der Situation – schlicht und einfach – gar nicht anders als zu helfen. All die vielen Gründe, aufgrund derer er auch hätte weiterziehen können, fallen für ihn nicht so ins Gewicht. Vielleicht ist er ja dem Verletzten aus Versehen einfach nur zu nahegekommen.
Es gibt eine wunderbare kleine Geschichte
Ein Kind ist in einen See gefallen. Es bildet sich direkt am Ufer eine Menschentraube. Da stürzt ein Mann ins Wasser – und er holt das Kind unter dem Applaus der anderen ans sichere Ufer. Als er das Kind absetzt, ruft der Mann: „Jetzt möchte ich aber wissen, wer mich ins Wasser geschubst hat!“.
Vielleicht ist es in unserem heutigen Predigttext ähnlich gewesen – ist im wahrsten Sinne des Wortes über den Verletzten gestolpert.
Oder vielleicht hat der Samaritaner ja eine ähnliche Notsituation schon selbst erlebt, in der auch einmal steckte: wo ihm geholfen wurde…oder er eben keine Hilfe erhalten hat...er es aber gerade deswegen jetzt anders machen muss und will.
Wie dem auch sei: Er konnte der Not nicht ausweichen.
Die vielen Menschen damals 2015, die aus Syrien kamen, haben wir ja auch nicht zu jenem Zeitpunkt bestellt. Und die vielen Menschen, die seit Februar aus der Ukraine in unser Land gekommen sind, kamen genauso: sie waren einfach da…wir konnten sie nicht übersehen … sie waren da aus einer Not heraus – und brauchten Hilfe.
Der andere Aspekt hängt damit zusammen:
Für jeden Lebensvollzug ist so eine aus dem scheinbaren Nichts kommende Notsituation so etwas wie eine Art „Kontrollverlust“.
So wenn sich das eigene Kind beim Sonntagsausflug eine Platzwunde am Kopf zuzieht und es klar ist, dass alle Pläne für den Tag über den Haufen geschmissen sind und es jetzt erst einmal in die Ambulanz geht.
Und der Unterschied zum eigenen Kind mit der Platzwunde: es geht hier um die anderen: um den Nächsten/die Nächste, der/die sich uns aufdrängt.
So wie wir uns genauso einem anderen Menschen aufdrängen, wenn wir in Not geraten sind.
Die Älteren werden es noch wissen: die die Flucht aus dem Osten miterlebt haben – oder die ausgebombt wurden.
Not bringt alles durcheinander.
Und es zählt allein die Not.
Jetzt.
Ich komme aber noch einmal auf den Priester und Leviten zurück: vielleicht hat diesen beiden genau das gefehlt: dieses Wissen darum, dass einem ein Mensch vor die Füße fallen kann und wir dann eben nur noch reagieren können – und alles andere in diesem Augenblick nicht zählt.
Das innere JA dazu, dass es einfach so geschehen kann – so dass sie kalt erwischt worden sind von dieser Situation.
Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste gewesen dem, der unter die Räuber gefallen war?
Der Samaritaner hat das getan, was notwendig war.
Ja – und darin ist er ein Vorbild.
Aber wir sollten ihn nicht zum Helden stilisieren, weil sein Tun dadurch nur unerreichbar würde.
Und erst recht sollten wir nicht den Finger auf den Priester und Leviten richten – wo doch eh immer mehre Finger dabei auf einen selbst zurückweisen.
Was wir aber können und sollen, ist diese Geschichte in unseren Herzen zu bewegen – den Gedanken zuzulassen, dass wir jederzeit mit so einem „Kontrollverlust“ für unser Leben rechnen müssen: dass da auf einmal jemand ist, der in Not ist.
Gerade auch dann, wenn es nicht passt.
Und ganz nüchtern gesprochen: in diesen Zeiten werden wir das noch sehr oft erleben.
Am Ende geht es in dieser Geschichte aus dem Lukas-Evangelium letztlich um die Frage, wie Theorie – ein Gebot – und Praxis – der Lebensvollzug – zusammenpassen kann.
Es ist nicht selbstverständlich, wie die Geschichte zeigt – und wie wir es wissen.
Es ist alles andere als einfach.
Aber: es ist möglich.
Und das ist das Entscheidende.
Es IST möglich.
Amen.
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