02/07/2024 0 Kommentare
Predigt über Jesaja 49,1-6
Predigt über Jesaja 49,1-6
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Predigt über Jesaja 49,1-6
Liebe Gemeinde,
Eine Sehnsucht, die wir wohl alle miteinander teilen werden ist die, in einer Welt zu leben „in der wir gut schlafen und in der wir ohne Angst aufstehen können“. Wo wir doch in Zeiten leben, in denen wir genau das immer schlechter können – Zeiten, die sich mehr und mehr verdunkeln. So wie wir in dieser Phase des Jahres zusehen können, wie die dunklen Zeitabschnitte zunehmen, so auch politisch, gesellschaftlich, wirtschaftlich. Und nicht nur gefühlt kommt täglich etwas Neues, Bedrückendes hinzu.
Nicht als billiger Trost aber als eine gewisse Entlastung ist es wichtig zu wissen, dass schon Unzählige vor uns in ähnlicher Situation diese Sehnsucht hatten: gut schlafen zu können.
Entlastung insofern, als dass wir wenigstens wissen können, dass da andere vor uns waren, die genau wissen, wie es uns heute geht.
So eben in biblischen Zeiten. So beim Propheten Jesaja - inmitten der babylonischen Gefangenschaft des Volkes Israel - wo alles zerstört war - auch die Aussicht auf ein Leben in Freiheit – an sich ein Leben in Dunkelheit.
1 Hört mir zu, ihr Inseln, und ihr Völker in der Ferne, merkt auf! Der HERR hat mich berufen von Mutterleibe an; er hat meines Namens gedacht, als ich noch im Schoß der Mutter war. 2 Er hat meinen Mund wie ein scharfes Schwert gemacht, mit dem Schatten seiner Hand hat er mich bedeckt. Er hat mich zum spitzen Pfeil gemacht und mich in seinem Köcher verwahrt. 3 Und er sprach zu mir: "Du bist mein Knecht, Israel, durch den ich mich verherrlichen will“. 4 Ich aber dachte, ich arbeitete vergeblich und verzehrte meine Kraft umsonst und unnütz. Doch mein Recht ist bei dem HERRN und mein Lohn bei meinem Gott. 5 Und nun spricht der HERR, der mich von Mutterleib an zu seinem Knecht bereitet hat, dass ich Jakob zu ihm zurückbringen soll und Israel zu ihm gesammelt werde – und ich bin vor dem HERRN wert geachtet und mein Gott ist meine Stärke –, 6 er spricht: Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, die Stämme Jakobs aufzurichten und die Zerstreuten Israels wiederzubringen, sondern ich habe dich auch zum Licht der Völker gemacht, dass mein Heil reiche bis an die Enden der Erde.
„…wenn wir die biblischen Texte lesen, die von Befreiung, Hoffnung, Orientierung und Selbstkritik handeln, wenn wir in der Tora blättern, finden wir Heilung aus der Krankheit der Hoffnungslosigkeit, des Unrechts und der Gewalt…“
So schreibt es Gerard Minnaard, ein niederländischer Theologe, in einem kleinen Buch, das er dieses Jahr veröffentlicht hat.
Hinter diesen Zeilen steht die so wichtige Einsicht, dass wir in den Schriften der Bibel etwas finden, was uns unsere jeweilige Situation so nicht geben kann. Dabei geht es nicht um „einfache Lösungen“ für heutige Probleme - die werden wir in den Schriften der Bibel nicht finden.
Es geht vielmehr um etwas, was uns tragen kann - in diesen Zeiten - das uns Kraft, Hoffnung gibt - uns handlungsfähig macht.
Denn die große Gefahr für uns als Gemeinde - als Kirche - als Einzelne mit unseren Glaubensversuchen ist, dass wir innerlich kapitulieren angesichts dieser Welt - resignieren - uns treiben lassen.
Kapitulieren vor dem Irrsinn, Kriege zu führen.
Dem Irrsinn des Nationalismus, der nichts anderes hervorbringt als eben Gewalt - der seine Fratze zeigt in Wahlerfolgen der Rechtsradikalen in Schweden oder der Faschisten in Italien.
Der Gotteslästerung in Form von Frauenfeindlichkeit, von Rassismus.
Die Ohnmacht angesichts der wirtschaftlichen Abhängigkeiten und Verknotungen, die Menschenrechte unter den Tisch fallen lassen - der globalen Ausbeutung, die beispielsweise auch noch - symbolhaft - bei einer Weltmeisterschaft in Katar umjubelt wird.
Die Welt - so können wir zu Beginn der Bibel lernen - ist wunderschön und auch zugleich abgründig. Die biblischen Erzählerinnen haben von Beginn an markiert, dass wir in einer schönen und auch bedrohten Welt leben. Und: dass DER, DER uns allen das Leben geschenkt hat, SEINE Schöpfung bewahren will.
Und die biblische Story gibt uns an die Hand, dass ER deswegen - weil für IHN das Leben das letzte Wort haben soll und nicht die Zerstörung - dass dieser Wille - SEIN Wort des Heils für die gesamte Welt - in dieser Welt und auch in diesen Zeiten nicht untergehen soll.
Und, dass es den Auftrag gibt, diese Botschaft weiterzutragen.
Das ist auch DER Grund, warum Gott ein Volk beauftragt hat, davon zu erzählen. Immer wieder. Dass DAS nicht verloren geht. Und genau diesen Auftrag greift der Prophet Jesaja auf: indem er diese Person in unserem Predigttext sprechen lässt: den sogenannten Gottesknecht – und das ist Israel selbst.
Und die Geschichte Jesu hat uns als Gemeinde Israel zur Seite gestellt, es diesem kleinen Volk gleich zu tun – ihm da beizustehen: vom „guten Ende“ zu erzählen.
So mühsam es auch erscheint - so vergebens es sich oft genug anfühlt. So wie es in dem Text formuliert wird:
Vergebens und mühsam - weil es wie ein sinnloses Anschreien im scheppernden Lärm dieser Welt zu sein scheint.
Mühsam und gefühlt vergebens, weil unsere Stimmen leiser zu sein – nicht durchzudringen scheinen.
Mühsam und gefühlt vergebens.
Ja.
Aber machbar: denn die uns aufgetragene Botschaft, dass am Ende das Heil und nicht das Chaos - das Leben und nicht die Zerstörung sein wird, ist, die zu erzählen. Diese Aufgabe beinhaltet nicht, dass wir das aus eigener Kraft erreichen können oder müssen.
Unser Job - unser Anteil - ist eben von der großen Hoffnung zu erzählen und - und das ist jetzt das Besondere – dadurch einen „heilsamen Widerspruch“ in dieser Welt zu verkörpern.
Wer vom Guten erzählt, strahlt das auch aus.
Erzählen, das eine Praxis nach sich zieht – in sich trägt.
Denn von der Hoffnung auf Frieden zu reden, setzt jede und jeden, der/die das tut, in Widerspruch zu dem, was ist.
Er hat meinen Mund wie ein scharfes Schwert gemacht, mit dem Schatten seiner Hand hat er mich bedeckt. Er hat mich zum spitzen Pfeil gemacht und mich in seinem Köcher verwahrt.
Diese merkwürdige militärisch geprägten Formulieren sollen das zum Ausdruck bringen. Denn Widerspruch eckt an – ist ein Störkörper im Chaos dieser Welt.
Stellt sich Kirche gerade heute so gerne exklusiv seelsorgerisch dar, kann der Eindruck entstehen, dass Kirche eben nichts anderes als eine Seelentrösterin ist.
Seelsorge ist aber - biblisch richtig verstanden - umfassender zu definieren.
Das griechische Worte für Trösten bedeutet nämlich nicht nur trösten, sondern zugleich auch ermahnen.
Von Hoffnung zu erzählen - Menschen so zu trösten - ihnen so seelsorgerisch zu begegnen, beinhaltet dann eben auch, all dem - ohne um den heißen Brei herumzureden - ohne vorsichtig, diplomatisch daher zu blubbern - zu widersprechen, was eben dieser Hoffnung widerspricht.
So kann es nicht um die Frage gehen, wie unsere gesellschaftliche Relevanz als Kirche verbessert werden kann - wie wir Themen besetzen können, wo wir als Kirche wieder ein wenig mehr an Land gewinnen können: es geht allein darum, Gott mit SEINER Botschaft vom Heil für die Welt Gehör zu verschaffen.
Ohne Angst!
Dabei zu benennen, was Gott in dieser Welt entgegengestellt wird:
Und das ist eben jede Form von Gewalt.
Das ist Nationalismus.
Das ist auch ein kirchliches Reden wie das des Oberhaupts der russisch-orthodoxen Kirche in Russland, Putin als von Gott gesandt zu erklären.
Das ist Ausbeutung von Mensch und Natur.
Das ist die Unterdrückung von Menschen, die sich in welcher Form auch unterscheiden. Das ist also die Verneinung von Gottes gewollter Diversität in dieser Welt.
Und Widerspruch so verstanden mündet in Solidarität aus: mit denen, die die Leittragenden sind.
Am einfachsten zeigt sich das im Engagement in der Flüchtlingsarbeit: seien es ukrainische Familien, die Unterstützung des Psychosozialen Zentrums oder der Rettungsschiffe im Mittelmeer.
Oder wie es jetzt bei der Vergabe des Friedensnobelpreis vorgemacht worden ist: Menschen zu unterstützen, die sich für Menschenrechte und Frieden einsetzen. Grundlagen des Friedens stark zu machen.
Es ist ein Reden, ein Erzählen - eine Haltung und so ein Handeln für uns alle - und auch besonders für alle jungen Menschen: dass gerade auch sie gut schlafen können und ohne Angst aufstehen können.
Amen.
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