Predigt zum 19. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zum 19. Sonntag nach Trinitatis

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Predigt zum 19. Sonntag nach Trinitatis

Der Wochenspruch lässt das Thema des heutigen Sonntags anklingen:

„Heile du mich, Herr, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen.“ (Jer 17,14)

Es geht um Heil und Heilung. Es geht damit um das, wonach alle Welt sich sehnt.

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„Da wohnt ein Sehnen tief in uns“, und das Sehnen ist sehr groß.

Heilung finden die meisten Menschen in unserer Gesellschaft bei Ärzten und Therapeutinnen, manche auch bei Heilpraktikerinnen und Handauflegern, andere in neuen Formen von Spiritualität und Religion.

Allen gemeinsam ist: Wann immer Heilung tatsächlich geschieht, ist die Bandbreite der Gefühle groß: Jesus heilt den Gelähmten in der Tiefe seiner Existenz, bringt ihn wieder in Kontakt mit Gott, und er kann wieder gehen. „Wir haben solches noch nie gesehen“, sagen da die Leute (Mk 2,12), andere sind entsetzt oder empören sich.  

Groß ist die Bandbreite der Gefühle auch bei Hiskia, jenem Musterbeispiel eines Königs, der alles richtig macht in den Augen Gottes und der Menschen und dann trotzdem todkrank wird. „Als er krank gewesen und von seiner Krankheit gesund geworden war“ (V. 9), da singt er dieses Lied:  

10Ich sprach: In der Mitte meines Lebens muss ich dahinfahren, zu des Totenreichs Pforten bin ich befohlen für den Rest meiner Jahre.

11Ich sprach: Nun werde ich nicht mehr sehen den Herrn, ja, den Herrn im Lande der Lebendigen, nicht mehr schauen die Menschen, mit denen, die auf der Welt sind.

12Meine Hütte ist abgebrochen und über mir weggenommen wie eines Hirten Zelt. Zu Ende gewebt hab ich mein Leben wie ein Weber; er schneidet mich ab vom Faden. Tag und Nacht gibst du mich preis;

13bis zum Morgen schreie ich um Hilfe; aber er zerbricht mir alle meine Knochen wie ein Löwe; Tag und Nacht gibst du mich preis.

14Ich zwitschere wie eine Schwalbe und gurre wie eine Taube. Meine Augen sehen verlangend nach oben: Herr, ich leide Not, tritt für mich ein!

15Was soll ich reden und was ihm sagen? Er hat’s getan! Entflohen ist all mein Schlaf bei solcher Betrübnis meiner Seele.

16Herr, davon lebt man, und allein darin liegt meines Lebens Kraft: Du lässt mich genesen und am Leben bleiben.

17Siehe, um Trost war mir sehr bange. Du aber hast dich meiner Seele herzlich angenommen, dass sie nicht verdürbe; denn du wirfst alle meine Sünden hinter dich zurück.

18Denn die Toten loben dich nicht, und der Tod rühmt dich nicht, und die in die Grube fahren, warten nicht auf deine Treue;

19sondern allein, die da leben, loben dich so wie ich heute. Der Vater macht den Kindern deine Treue kund.

20Der Herr hat mir geholfen, darum wollen wir singen und spielen, solange wir leben, im Hause des Herrn!  

Auf einer Achterbahn der Gefühle fahren wir, wenn wir dieses Lied lesen und mitfühlen. Hiskia spricht zu uns als jemand, der todkrank gewesen war und der dann doch wieder gesund wurde.

„Siehe, um Trost war mir sehr bange. Du aber hast dich meiner Seele herzlich angenommen, dass sie nicht verdürbe.“ (V. 17)  

Die Seele, das ist nicht nur irgendein Teil des Menschen, sondern das ist das Leben, der ganze Mensch, der hier gerettet wurde.

In der Rückschau beschreibt Hiskia, was er erlebt hat.

„Ich sprach: In der Mitte meines Leben muss ich dahinfahren.“ (V. 10)

Wann immer das geschieht, ist es unfassbar bitter. Und es geschieht ja, dass Menschen eben nicht alt und lebenssatt sterben, sondern früh, vorzeitig, mitten aus dem Leben gerissen. Die Erschütterung für alle, die das erleben, ist groß. Zurück bleiben Menschen in tiefer Trauer und viele Fragen.  

Doch Hiskia kommt noch einmal davon. „Siehe, ich will deinen Tagen noch fünfzehn Jahre zulegen“, spricht Gott zu ihm (V.5). Diesem Urteil voran ging eine hartnäckige Verhandlungsoffensive des Hiskia.

Zunächst flüchtet Hiskia nicht vor seinem bösen Schicksal zu einem vermeintlich guten Gott.

Er nimmt vielmehr seine Krankheit aus Gottes Hand:

„Er schneidet mich ab vom Faden.“ – „Er zerbricht mir alle meine Knochen wie ein Löwe.“ – „Er hat’s getan.“ (V. 12.13.15)

Es gibt nur einen Gott, aus dessen Hand wir unser Leben nehmen. Nicht einen guten Gott für die guten Tage und einen bösen Gott für die bösen Tage. Alles, was geschieht, hat mit Gott zu tun. Wir wissen nicht immer, wie es mit Gott zu tun hat. Aber Hiskia ist sich sicher: Du warst es. Du bist verantwortlich, kein anderer.  

Und nun, nachdem der Verantwortliche klar benannt ist, läuft Hiskia zur Höchstform der Verhandlungskunst auf, die eines Königs wahrhaftig würdig ist.

Denn er sagt: Gott, ich nehme mein Schicksal aus deiner Hand. Du bist verantwortlich. Aber jetzt überleg dir genau, was du tust:

„Denn die Toten loben dich nicht, … und die in die Grube fahren, warten nicht auf deine Treue; sondern allein, die da leben, loben dich so wie ich heute.“ (V. 18 f.)

Also, mit anderen Worten: Willst du gelobt werden, Gott, dann lass mich besser leben. Dann will ich auch gerne dafür sorgen, dass die Menschen von deiner Treue erfahren, nicht nur zu meinen Lebzeiten, sondern auch die kommenden Generationen.  

Das meint Beten im biblischen Sinne, genauer im alttestamentlichen Sinne. Hier geht es nicht um fromme Ergebung ins eigene Schicksal oder um Erlösung in einem Jenseits.

Beten ist hier ein Ringen, ein Kampf mit Gott und manchmal auch gegen Gott, ein Kampf um das eigene Leben in einer Welt, die trotz allem gut und lebenswert ist.  

Dietrich Bonhoeffer hat es in einem seiner Briefe aus der Haft einmal so ausgedrückt:

„Ich spüre übrigens immer mehr, wie alttestamentlich ich denke und empfinde; so habe ich in den vergangenen Monaten auch vielmehr Altes Testament als Neues Testament gelesen. Nur wenn man die Unaussprechlichkeit des Namens Gottes kennt, darf man auch einmal den Namen Jesus Christus aussprechen; nur wenn man das Leben und die Erde so liebt, dass mit ihr alles verloren und zu Ende zu sein scheint, darf man an die Auferstehung der Toten und eine neue Welt glauben.“[1]  

Hiskias Gebet lehrt uns genau das: Es ist kein Zeichen besonderer Frömmigkeit, wenn man das eigene Leben und die Welt ans Jenseits verrät und es gar nicht abwarten kann, sich aus dem Leben zu flüchten. Im Gegenteil: Gott hat ja die Welt gerade geschaffen als Ort zum Leben und uns Menschen, damit wir hier leben und in dieser Welt wirken.  

Diese Liebe zur Welt, die Hiskia trotz seiner Not zwitschern lässt wie eine Schwalbe und gurren wir eine Taube (V. 14), immunisiert uns gegen alle Formen der Weltverachtung.

Und davon gibt es viele:

Die Verachtung derjenigen, die sagen ‚nach mir die Sintflut, Hauptsache, ich komme noch auf meine Kosten‘.

Oder die Verachtung derjenigen, für die die Welt ein dunkler und gottloser Ort ist, vor dem sie sich in ihre Frömmigkeit flüchten.

Und auch die Verachtung derjenigen, die die Welt und sich selbst zerstören wollen, damit endlich das Gute zum Vorschein kommt.  

Doch das Gute ist längst da. Gott hat es mit der Welt und mit uns geschaffen und erhält es. Und manchmal müssen wir ihn darin erinnern, wie Hiskia es tut:

„Herr, ich leide Not, tritt für mich ein!“ (V. 14) Mach jetzt, ich kann nicht ewig warten!

Und dann macht Gott.  

Doch was, wenn Gott nicht macht?

Wenn die Heilung ausbleibt. Wenn die Krankheit doch fortschreitet, der Tod doch kommt.

Was dann?  

Dann ist zunächst mal wichtig, nicht zu sagen: Du hast zu wenig gebetet. Oder: Ich habe zu wenig gebetet. Bei allem Verhandlungsgeschicks des Hiskia, bei aller Wertschätzung der Frömmigkeit: Unser Schicksal liegt damit nicht in unserer Hand.

„Du aber hast dich meiner Seele herzlich angenommen.“ – „Herr, davon lebt man, und allein darin liegt meines Lebens Kraft.“ (V. 17.16)

Unser Leben steht in Gottes Händen. Und darum ist es gut, seine Nähe zu suchen, um seine Zuwendung zu bitten.

Das ist eine Erfahrung der Bibel, die wahr bleibt auch für diejenigen, die ihr Heil in neuen Formen der Spiritualität suchen:

Es liegt nicht in unseren Händen. Du kannst dein Leben noch so sehr nach ayurvedischen Grundsätzen gestalten oder es zur Meisterschaft im Yoga bringen, es liegt am Ende trotzdem nicht in deiner Hand. Und auch wenn du alles richtig machst, dich vegan ernährst, dich selbst liebst, alle deine Energieblockaden löst und regelmäßig Sport treibst – und das alles auch noch deinen Followern tausendfach zeigst –, selbst dann hast du keine Garantie auf ewige Gesundheit und Schönheit. Und wenn du alles das nicht tust, kann es dir trotzdem wohlergehen.

Es steht in Gottes Händen. Es liegt an seiner Zuwendung.

„Das lässt mich genesen und am Leben bleiben“, sagt Hiskia (V. 16).  

Was also bleibt uns zu tun?

Ich glaube, das Wichtigste ist, immer wieder neu anzufangen. Einem Konfirmanden gleich immer wieder Vertrauen zu Gott üben und lernen. Und lesen und beten mit den Zeuginnen und Zeugen der Bibel. Mit Hiskia und all‘ den anderen nach Gott suchen, nach seiner Gegenwart in unserer Welt und in deinem Leben.

Denn Gott ist da, auch bei dir.

Und manchmal sind es gerade die schwer Kranken und die Sterbenden, die uns bezeugen: Ja, es gibt da eine Hilfe.  

„Darum wollen wir singen und spielen, solange wir leben, im Hause des Herrn!“  

Amen.

  

Lied:

„Lobe den Herrn, meine Seele“. In: Zwischen Himmel und Erde (tvd-Verlag 32008), Nr. 141.

[1] Dietrich Bonhoeffer: Widerstand und Ergebung (DBW Band 8), S. 226.

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